2017 hab ich ihn dann am Stück in 28h 35′ absolviert. Eintrag zur Begehung hier.
Nach dem Stubaier Höhenweg im August 2015 war der Berliner Höhenweg das nächstlogische Ziel. Laut Richi (hat ihn 2013 in 26 Stunden und 30 Minuten gemacht, von/nach Mayrhofen) hätte er viel mehr Blockgelände und sei wesentlich anspruchsvoller zu gehen. Mit dem 24 Stunden-Gedanken hab ich natürlich gespielt aber das blieb dann irgendwo in der Kategorie „Wunschdenken“ stecken bzw. wurde vom Realitätsbezug verdrängt. Weit bekannt ist natürlich die Begehung vom bekannten Ginzlinger Bergläufer Markus Kröll im August 2012 – die Reportage dazu kann man sich online anschauen. Ich find sie schön gemacht mit vielen Hintergrundinfos, nur klassisch Red Bull-dramatisiert (was m.E. aber nie von den Sportlern selber ausgeht): Die Höhenmeter werden z.B. doppelt gerechnet.
Ich habe Markus angeschrieben und gefragt, wieviele ihn bis jetzt in einem Zug gemacht haben, er meint 10 bis 15 Personen.
So hab ich jetzt den halben Sommer gewartet: Zuerst bis der Schnee weniger wird und dann noch länger auf einen Tag ohne Gewittergefahr. In den gradientschwachen Wetterlagen wie momentan sind Prognosen maximal für zwei Tage brauchbar (oder auch gar nicht brauchbar) und so hat sich mein Fenster sehr kurzfristig ergeben. Damit war es auch nicht leicht, Begleitung zu finden. Ich hab mit „meinem“ Markus am Abend des 28.7. telefoniert und ihm erzählt, dass ich in wenigen Stunden zur Runde starte. Sofort hat er seine geplante Tour abgesagt und mir seine Begleitung vom Schlegeisspeicher weg versichert.
Am Abend mussten wir noch eine Kalbin suchen, die – wie sich dann herausgestellt hat – zwei Wochen vor errechnetem Termin ohne vorige Anzeichen im Wald gekalbt hat und dadurch nicht nach Hause gekommen ist. So bin ich nach 1 1/2 Stunden Schlaf ins Zillertal gefahren. Um 02:51 Uhr bin ich in Mayrhofen im Uhrzeigersinn zum Berliner Höhenweg gestartet. Es war noch bedeckt und dadurch war die Luft angenehm warm. Zur Edelhütte macht man anfangs gut Höhenmeter. Nur die Spinnennetze im Wald waren nervenaufreibend, nach wirklich jedem zweiten Schritt hatte man einen neuen Faden im Gesicht hängen. Der Siebenschneideweg weiter zur Kasseler Hütte ist mit neun Stunden angeschrieben. Wobei hier das Ungute nicht nur an der bloßen Entfernung liegt, sondern vielmehr an den häufigen Abschnitten im Blockwerk. Von einem tischgroßen Stein zum nächsten zu steigen kostet Zeit und Konzentration. Hinter der Kasseler Hütte quert man in einem weiten Bogen das Tal und gelangt weiter zur Lapenscharte. Von der Kasseler an bin ich Menschenmassen begegnet, ich hab zwar auf der Runde bis zum Furtschaglhaus mit niemandem gesprochen, aber vom „Griaß di“ & „Griaß enk“ hatte der Mund auch genug zu tun. Inzwischen war der Himmel nur mehr wolkig, die Sonne trotzdem meist verdeckt, so war es richtig fein zu gehen. Weiter geht es zur Greizer Hütte, zur Mörchner Scharte und dann weiter zur Berliner Hütte, die größte Schutzhütte Tirols. Dort hab ich mich kurz mit meinen Artgenossen beschäftigt (siehe Video) und bin über Gletscherschliff und die ehemalige Seitenmoräne des Waxeggkees‘ zum Schönbichler Horn, dem höchsten Punkt der Tour. Puh, dort hinauf hab ich ziemlich Milch gegeben. Man wechselt dabei vom Gneis/Granit zum Schiefer (siehe Tauernfenster) und merkt das z.B. an der Brüchigkeit aber auch an der Form der Bergstöcke.
Hinab zum Furtschaglhaus konnte ich gut Tempo machen und bald war ich am Hinterende des Schlegeisspeichers, wo Markus auf mich gewartet hat. Zusammen sind wir weiter zur Olperer Hütte und von dort weg wieder mit Stirnlampen zum Friesenberghaus. Die Begleitung bzw. unsere klassisch jugendlichen Männergespräche und ein paar Hände voll Moosbeeren wirken Wunder auf das Gemüt. Vor allem war es ab Anbruch der Dunkelheit sehr angenehm, dass jemand vor mir ging, der in den nun wieder häufigen Blockpassagen die wackeligen Steine ausfindig machen konnte. Meine Konzentration war mittlerweile am Boden, der Geist arbeitet in etwa gleich langsam, als wenn man vier (oder ich: ein) Bier getrunken hat. Die Füße stiegen oft nicht mehr an den Ort, wo ich sie haben wollte. Schätzomativ war ich von der Konzentration her wesentlich schlechter drauf als am Stubaier Höhenweg nach der gleichen Gehzeit. Ich glaube, das lag heuer zum einen an dem wesentlich höheren Anspruch auf die Konzentration über die ganze Länge des Berliner Höhenweges und hauptsächlich am zu wenig Schlafen in der Nacht vorher. Noch dazu hat von der Olpererhütte an das Außenband am rechten Knie im Abstieg zu schmerzen begonnen und sich sukzessive verschlechtert. Wir haben es noch probiert zu tapen und zu fatschen, was aber nur wenig gebracht hat. Bei der zweiten Möglichkeit ins Tal abzusteigen (zwischen Friesenberghaus und Gamshütte) sind wir uns einig gewesen, dass es keinen Sinn mehr macht. Ich hab dabei mehr an mein Knie gedacht und Markus mehr an meine mittlerweile kaum mehr vorhandene Trittsicherheit, die an den ausgesetzten Passagen in der Nacht ein erhebliches Risiko dargestellt hat – selber bekommt man das vermutlich nicht mehr so gut mit als eine „frische“ Begleitperson. Jedenfalls ist Markus voraus gelaufen und der Straße nach zurück zu seinem Auto beim Schlegeisstausee. Nach gesamt 24 Stunden und 16 Minuten war ich dann auch unten an der Straße. Ich war verdammt froh, dass ich die Überhose und eine leichte Isolationsjacke dabei hatte – da ich noch ein bisschen warten musste bis Markus mit dem Auto zurückkommt. Dazu hab ich das Handy aus der Tasche gezückt, bin aber sofort neben der Straße am Rucksack sitzend mit dem Handy in der Hand eingeschlafen. Wir sind zurück nach Mayrhofen und haben dann noch ein paar Stunden in den Autos mit Schlafsack und Matratze geschlafen (letztes Jahr am Stubaier Höhenweg bin ich anschließend ja noch heimgefahren, was man als „Gemeingefährdung“ bezeichnen kann) bevor wir erholt die letzte Herausforderung – den Urlaubsverkehr im Zillertal – hinter uns bringen konnten.
Warum mir das Band nicht mehr mitgespielt hat, liegt vielleicht am zu schnellen Bergablaufen in Verbindung mit den insgesamt (inkl. Stöcke und Schuhe) 13kg die ich anfangs mitzutragen hatte. Ich wollte autark unterwegs sein und die Unmenge an Riegeln und den kleinen Haferkuchen war ganz schön schwer. Oder ich werd einfach auch langsam alt :-) Unter 24 Stunden wär es für mich definitiv nicht möglich. Ich schätze, ohne körperlicher Beschwerden hätte ich – ebenfalls unter vollständiger Selbstversorgung – zwischen 26,5 und 27,5 Stunden gebraucht.
Meine gekürzte Version hat laut GPS-Messung meiner Suunto 6610hm auf 71km ausgemacht. Die gesamte Runde von/nach Mayrhofen hat laut Kröll 6660hm („Abstiegshöhenmeterberreinigt“) und 95km. Ich schätze grob nach der Karte, dass man zwischen Kesselalm und Gamshütte mit dem ständigen Auf und Ab noch mindestens 400hm macht, dann wären es zusätzlich zu meinen gemessenen 6610hm insgesamt 7000 Aufstiegshöhenmeter für die gesamte Runde. Laut Routenplanern kommt man auf 85km, nicht auf 95km für die ganze Tour. Die Anwort lautet wie immer: Man kann’s nicht genau sagen – alle Messmethoden funktionieren nicht in ausreichenden Genauigkeit (bei GPS liegt’s vor allem daran, dass man in engen Tälern und im Wald zu wenig Satelliten empfängt und die Genauigkeit von fünf oder zehn Metern gleich mal auf 100m absinkt). Deswegen wird die Wahrheit wohl irgendwo zwischen den angegebenen Werten liegen. Ich hab mir jedenfalls ca. 14km, ca. 400 Aufstiegshm und 1000 Abstiegshm gespart. Als „Berliner Höhenweg in einem Zug durch“ gilt’s natürlich nicht. Vom Erlebniswert her hat sich vermutlich kaum was geändert. Auf jeden Fall steht es für mich nicht dafür, das mit Gewalt durchzuziehen (was vom Schmerzpegel aushaltbar gewesen wäre) und dann möglicherweise wochenlang mit einem so verursachten Problem herumzudoktern. An diesem Punkt hab ich wieder zu schätzen gewusst, dass man in diesem Begehungsstil sein eigener Chef ist und von keiner Seite (wie bei einem Rennen, Staffelwettbewerb o.ä.) Druck bekommt oder sich selbst unter Druck setzt.
Interessant:
- Die Ausdehnung des Gebietes: Das Ginzlinger Haupttal mit seinen fünf Gründen (Stillup, Floiten, Gunggl, Zemm, Schlegeis) ist flächenmäßig fast gleich groß wie das gesamte Kühtai-Sellrain (wir haben aber doppelt soviele, dafür viel kleinere Seitentäler!)
- Ist mir schon bei mehreren extralangen Touren aufgefallen: Alles schmeckt um ein Vielfaches besser/intensiver, sobald man mal länger als 12, 13 Stunden in Bewegung ist.
- Die Gletscherformen am Zillertaler Hauptkamm: Immer U-förmig eingebettet zwischen den nach Nordwesten ausgehenden Graten. Das Längen-Breite Verhältnis ist für Augen, die die Stubaier Gletscher gespeichert haben, sehr ungewohnt – wie auch die ungeheure Spaltigkeit.
- Die Talformen mit den langen, flachen Talböden bis weit nach hinten und steilen Felswänden und Grashängen.
- Die Menschenmassen am Höhenweg – leider sind für mich sehr viele dieser Urlauber eigentlich nicht für den Weg geeignet. Dadurch erklärt sich auch, warum die Ginzlinger Bergrettung fast über den ganzen Sommer auf Dauereinsatz ist.
Trotzdem war’s eine verdammt lässige Angelegenheit in atemberaubender Kulisse und vielen Eindrücken. Ein großes Danke an Markus für die im letzten Teil psychisch stark erheiternde Begleitung und unsere (Berg-) Freundschaft. Vielen Dank an Viki für das Erbe der übrigen Riegel des 24 Stunden Marsches. Danke auch an Yvonne und Onkel Wofi für die Akkus zur GPS Messung.
Ein paar Worte und Fotos vom letzten Teil der Tour gibt es hier.
Durchgangszeiten:
Ort | Ankunft | Pause in Minuten ca. |
Mayrhofen | 02:51 | |
Edelhütte | 04:55 | |
Popbergnieder | 5 | |
Notbiwak | 5 | |
Kasseler Hütte | 08:15 | 10 |
Lapenscharte | 10:26 | 10 |
Mörchnerscharte | 13:18 | 10 |
Berliner Hütte | 14:40 | 10 |
Halbe Strecke zum Horn | 10 | |
Schönbichler Horn | 17:02 | 15 |
Furtschaglhaus | 18:12 | 5 |
Schlegeisspeicher | 5 | |
Olperer Hütte | 20:51 | 10 |
Friesenberghaus | 22:33 | 10 |
Straße | 03:07 | |
Gesamt | 24h 16‘
6610hm 71km |
Video:
vom Vorabend:
vom Höhenweg:
bin den Berliner nun auch gegangen – aber „Touristen-like“. Gott sei Dank aber in der letzten September Woche, 1 Übernachtung (auf der Kasseler Hütte) sogar im Winterraum. keine Menschenseele mehr unterwegs. Den Weg wie Du,
in einem Aufwasch zu marschieren…… boah – no chance!! Respekt an Dich!!
Ausreichend Schlaf ist vor so einer Tour obligatorisch. Nach nur 1 1/2 Stunden Schlaf eine (geplante) 24 h Runde anzugehen, finde ich sehr mutig.
Als Verpflegung bei solchen Unternehmen setze ich auf „Energy-Cake“ und „Carb Control High Protein Bars“.
hast du recht.
Sehr vernünftig, dass du aufgrund der Kniebeschwerden aufgegeben hast. Es ist schwierig eine solche Entscheidung zu treffen, wenn man schon fast am Ziel ist. Großen Respekt und Gratulation zur sportlichen Leistung und psychischen Stärke trotz deiner Jugend.
Tolle Leistung Luggi, gratuliere!
Wie ich sehe hat du dich wieder etwas mit Geologie beschäftigt, wunderbar.
Top Leistung Lukas, aber dein Höchstleistungsalter kommt ja erst ! Hast noch einige Jahre bis so Alt bist wie der Richi !