(Warnung: Die Reiseberichte sind relativ lang und eher weniger für den flüchtigen Internetleser geeignet. Wen’s interessiert, sollte sich dafür Zeit bei einem Bildschirm größer als der eines Handys nehmen.)
Für besseres Verständnis empfehle ich, die Einführung zu lesen.
30. August bis 1. September 2016
Nach den Tagen auf der Frey schauen wir uns das Nachtleben in Bariloche an…
Währenddessen fange ich partiell in Englisch zu denken an. Flo und ich sind doch eher zwei ruhige Zeitgenossen und reden eher wenig untereinander, dafür blabbern wir die ganze Zeit mit den Leuten aus der ganzen Welt, die ebenfalls in unserem Hostel einquartiert sind. Anfangs gerate ich ständig ins Stocken während ich zwischen Deutsch, Englisch, meinem gebrochenen Französisch und den paar Wörtern Spanisch switche, die ich bis jetzt kenne – das funktioniert aber in kürzester Zeit übergangslos. So ist das halt, wenn man zum ersten mal länger von anderen Sprachen Gebrauch macht. Meine Mutter erklärt mir während des Whatsapp-Telefonats, dass mein Deutsch einen Akzent hätte – das ging aber schnell.
Das Internet ist momentan unser Gold. WLan steht einem – im Gegensatz zum hier noch wirklich rückständigen Österreich – fast überall und immer kostenlos zur Verfügung – in der Zivilisation. Ich denke hier an den Dozenten meiner letztjährgen VWL-Vorlesung, der WLan als „Menschenrecht“ der nahen Zukunft bezeichnet hat. Wir können gratis mittels Whatsapp in die ganze Welt telefonieren und den Daheimgebliebenen Fotos schicken. Viele Fragen, die vor allem die Berge betreffen, können wir so schnell klären – und alles andere weiß ja Lea, die uns immer bei all unseren Problemchen zur Seite steht. Wenn ich mir die Geschichten von den Himalaya Expeditionen und den Skireisen auf die Anden-6000er meines Vaters aus den 90ern anhöre und durch seine Bergbibliothek stöbere, wird mir erst bewusst, wie wenig Info man hatte. Wobei an der vergleichsweise spärlichen Menge an Informationen die Qualität besser war. Sofern sie nicht veraltet war, konnte man sich drauf verlassen. Heute hat man dafür das Problem, welcher Quelle man vertrauen kann – wobei das meiner Meinung nach mit etwas Übung sehr schnell „erlernt“ werden kann und man so selten in die Kloschüssel greift. Auch an den Flughäfen und Busbahnhöfen sieht man nur mehr Menschen auf ihre Handys starren, Bücher sind selten.
Was mich extrem ärgert sind die übrig gelassenen Lebensmittel: Als Enkel der Kriegsgeneration bekommt man bei uns ja immer noch den sorgsamen Umgang mit Lebensmittel gelernt, was zumindest im Privatbereich auch noch umgesetzt wird. Vor allem in den Restaurants an den Flughäfen habe ich mehrere Leute anderer Kulturen unabhängig voneinander beobachtet, die nur wenige Bissen von ihrer Bestellung aßen und den Rest stehen ließen. Leider ist das bei uns nur eine Frage der Zeit, bis solche Sitten ebenfalls von der Masse praktiziert werden, denke ich.
Als nächste Tour peilen wir den Tronador an. Der Tronador ist ein stark vergletscherter, erloschener Vulkan im Nahbereich von Bariloche, über seinen Hauptgipfel verläuft die Grenze zwischen Argentinien und Chile, beide Länder besitzen einen Nebengipfel. Mit seinen etwa 3470m überragt er alle anderen Berge rundherum um fast 1000m. Der Name (spanisch: Donner) stammt vom Geräusch der Eislawinen seiner Seracs. Die Höhenangaben zu allen drei Gipfeln schwanken extrem stark. Im Gegensatz zu den Alpen gibt es hier kaum höhenkotierte oder vermessene Punkte, die Karten werden mit Satellitenbildern gezeichnet, nicht mit Orthofotos & Geländebegehungen wie bei uns. Als ich zu Hause zum ersten mal die Karten von Bariloche und dem Tronador in der Hand hielt, die mir Kristian freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, hab ich mir gedacht: „Was soll ich denn mit dem lausigen Zeug?“ – 1:50.000 ohne Schraffur oder Gravur – eigentlich wie eine Straßenkarte mit Farben für die Oberflächenbeschaffenheit und Höhenlinien, sonst nichts. Für eine exakte Planung ungeeignet, für einen guten Überblick aber Gold wert. Aber was besseres gibt es dort nicht.
Man sieht auf der Karte sehr gut den Übergang zwischen feucht und trocken: im westlichen Teil ist es viel grüner, der Tronador ist stark vergletschert, nach Osten lässt die Jahresniederschlagsmenge schnell nach und am östlichen Stadtrand von Bariloche befindet man sich schon in einer Prärie-ähnlichen Landschaft.
Auf einem Satellitenbild sieht man das besser:
Und mit Fotos am besten:
Wir checken den Wetterbericht, leihen uns ein Auto, ich stelle Flo drauf ein, dass wir nach dem neuerlichen Neuschnee, den recht kühlen Temperaturen und dem bis morgen Vormittag noch stark wütenden Wind möglicherweise wegen der Lawinengefahr umdrehen müssen, und fahren die etwas über 80km zur Pampa Linda – ein Platzl mit Hotel und Rangerstation am Fuße des Tronador. Die zweite Hälfte davon auf einem ausgeschobenen, schlaglöchrigen Waldweg. Bei der ersten Rangerstation am Eingang in den Nationalpark müssen wir der Dame versichern, dass wir nur bis zur Hütte aufsteigen – denn eine Gipfelbesteigung wäre im Winter viel zu gefährlich. Bei der zweiten Rangerstation kurz vor dem Parkplatz, wo man eigentlich anhalten und nochmal erklären muss, was man im Park vor hat, fahren wir einfach an der Stopptafel am besetzten Wartehäuschen vorbei, ohne Probleme.
Nach einigen flachen Kilometern und einem extrem nervenaufreibenden Serpentinenweg, der für 400hm gefühlte 10km in Anspruch nimmt, können wir endlich die Ski anziehen und durch den dichten Wald weiter aufsteigen. Nach einer atemberaubenden Kondorsichtung im traumhaften Nachmittagslicht erreichen wir nach knapp vier Stunden (für 880hm) die Refugio Otto Meiling, im Winter nicht bewirtschaftet aber offen, mit Matratzen und einem Ofen (aber meistens ohne Holz).
Wir essen das vor einem Jahr abgelaufene Packlfutter von Flo und schlafen gut in der großen Hütte. Am nächsten Tag geht es bei windigen, aber nicht mehr stürmischen, Bedingungen weiter zum Pico Argentino (laut meiner GPS-Uhr 3250m). Wir entscheiden uns, die Variante unter den Seracs zu nehmen, weil die beschriebene Route durch einen stark eingewehten, nordöstlich exponierten Steilhang verläuft. Beschrieben übrigens im „Handbook of ski mountaineering in the Andes“ – der einzig mir bekannte (im holprigen Englisch übersetzte) Skitourenführer für die Anden im besprochenen Gebiet. Weiter oben stinkt es gewaltig nach faulen Eiern, der Vulkan lässt grüßen. Der steile Gipfelhang ist zum Glück abgeblasen worden, der Altschnee hart. Bei der Abfahrt sieht man im unteren Teil mittlerweile perfekt den Unterschied bezüglich Einfluss der Windstärke auf die Schneedecke: Der Sturm von gestern hat die Oberfläche entweder bis auf den harten Altschnee abgefegt oder Windgangeln (Sastrugi) gebildet, nun weht er nur mehr schwach und bildet auf den Gangeln drauf frische Dünen.
Zurück beim Auto hat Chauffeur Lukas gestern vergessen, das Licht abzuschalten und die Batterie ist leer. Welch Glück, dass wir gleich eine argentinische Familie mit einem Hilux finden (die gerade abreisen wollen) und uns Starthilfe geben, nach einer Irrfahrt durch Bariloches Einbahnen finden wir uns in unserem feinen Hostel wieder, wo es im Gegensatz zum Rest des Landes täglich selbstgemachtes Brot zum Frühstück gibt – das halbwegs schmeckt und nicht kaum-essbar ist. Unsere gewonnen Freunde im Hostel lauschen am Abend gespannt die Geschichte zur Tour auf den Tronador: Unter ihnen befinden sich keine Skifahrer und schon gar keine Bergsteiger.
Griaß Di Lukas,
nach der langen Zeit des Vermissens Deiner Berichte hier – gfreits mi sakkrisch, daß Du Dir de Müah machst, Dei Reise so fein für Dei Seitn aufzubereiten!!!
Wie immer schee zum lesn – Du hast so a Gschick zum schreibn!! ;-))
Herzlichn Dank vo am Fan ausm Boarischn
Franzi