(Warnung: Die Reiseberichte sind relativ lang und eher weniger für den flüchtigen Internetleser geeignet. Wen’s interessiert, sollte sich dafür Zeit bei einem Bildschirm größer als der eines Handys nehmen.
Für besseres Verständnis empfehle ich, die Einführung zu lesen.
4. September 2016 bis 15. September 2016 – Fotos sind zeitlich gemischt
Flo und ich sprechen in Las Cuevas recht wenig untereinander und haben an den Abenden Zeit für uns selbst. Die Handys sind ausgeschaltet in den Rucksäcken – hier gibt’s nirgends WLan – und das einzige, was von außen auf uns eindringt, ist der Radio von Nestor. Meine Eltern haben mir zwar Entzugserscheinungen vom Handy vorausgesagt, doch die stellen sich nicht ein. Die ersten zwei Tage sind etwas ungewohnt aber es entwickelt sich kein Drang dazu, das Zeug nutzen zu wollen – was mich auch selber wundert. Wir wissen, dass es hier nicht funktioniert, haben das sofort innerlich akzeptiert und außerdem lesen wir beide ja auch gerne: Ich habe ein wissenschaftlich gehaltenes Buch über die Psychologie von Schulkindern und Lehrpersonen dabei und lese endlich „Sieben Jahre in Tibet“. Das Leben gestaltet sich gemütlich. Wir haben keine Verpflichtungen außer uns was zu Kochen. Wir haben soviel Zeit wie noch nie. Die paar Stunden Skitouren und deren Planung pro Tag lassen noch unendlich viel Zeit übrig. Dabei schweifen die Gedanken, während wir Pankratius oder Luna mit Streicheleinheiten versorgen, noch mehr durch die Gegend als sonst.
Zwei Sätze, die mein Vater mir und meinem Bruder häufig in unserer Schulzeit ans Herz gelegt hat, kommen immer wieder daher. Weil sie ursprünglich aus dem Lateinischen stammen, hier in Originalfassung:
Scientia potentia est.
und
Faber est suae quisque fortunae.
Am zweiten Tag (5.9.) unseres Aufenthaltes schauen wir gleich zum Matienzo (4990m). Florian spürt die Höhe viel stärker als ich und ist sich gleich bewusst, dass er das heute nicht schafft und steuert einen Vorgipfel an. Ich fühle mich besser und möchte es zumindest probieren – den Mt. Blanc in einem Zug ohne Akklimatisation von Chamonix aus zu machen ist ja bei uns auch kein Problem, dann müsste der Gipfel auch machbar sein… Flo hat ihn letztes Jahr bestiegen und die steile Südwand erstbefahren.
Eine vierköpfige Hundebande aus Cuevas begleitet uns bei einigen unserer Touren und bleibt dabei meist in unserer Nähe. Leider jagen sie auch die hier (im Winter bis ca. 3500m hinauf) vorkommenden Wildhasen und wir müssen öfter bei einer Flucht der armen Viecher zuschauen. Die Hunde zurück zu scheuchen, gelingt uns nie.
Am Fuß der ca. 600m hohen Südwand liegen zwei kleine, frische Schneebretter. Die Alarmglocken schrillen sofort und auch Kristians Warnungen, dass es in diesem Gebiet südseitig möglicherweise Schwachschichten geben könnte, kommen mir hoch. Lawinen waren bis jetzt auf unserer Reise nämlich praktisch kein Thema. Interessanterweise bleiben auch die Hunde, die mir statt Florian gefolgt sind, genau am letzten flachen Platzl vor der Wand hocken und gehen nicht mehr weiter mit – drehen aber auch nicht um. Ich gehe in der Laufbahn eines der Schneebretter ca. 50hm hoch und stochere immer wieder im Schnee daneben rum: Maximal 10cm frischer Triebschnee liegt hier auf einer schwach aufgebauten Schicht, darunter wird es pickelhart. Die Verbindung zwischen frischem Triebschnee und ehemals oberflächlicher Schicht aus kantigen Kristallen (ermutlich durch Strahlungsnächte nach einem kleinen Schneefall entstanden) ist denkbar schlecht, die zwei vorhandenen Rutscher müssen ganz frisch sein, sonst wären sie schon wieder zugeweht. Der Wind geht nämlich immer noch über Verfrachtungsstärke. Jede Tafel, die ich mit den Stöcken herausschneide, bricht sofort über die ganze Fläche an der besprochenen Schichtgrenze. Die Oberfläche ist zwar unregelmäßig und ein Schneebrett wäre hier mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr kleinflächig und geringmächtig, aber die Auslösewahrscheinlichkeit ist viel zu hoch. Ich drehe um, felle am Fuße der Wand nochmal auf und gehe eine ostseitige Rinne daneben auf einen Vorgipfel, 4580m, rauf. Hier liegt ein wenig lockerer Pulver auf einem harten Harschdeckel. Die Hunde folgen mir jetzt wieder. Woher wissen die Viecher wo es schneemäßig gefährlicher wird?
Vorgipfel Matienzo = Nummer 10 im Übersichtsbild:
Am folgenden Foto sieht man hinten den Matienzo mit der Südwand links davon, vom Fotostandpunkt bis zum Fuße der Wand geht man vier Stunden flach durch das Tal hinein.
Ich spüre jeden Tag mehr, wie mein Körper umzubauen beginnt: Weil wir uns hier fast nur aus Erdäpfeln, Nudeln und Reis ernähren und Fleisch nur in kosmetischer Menge als Beilage abbraten, fange ich an Masse von meiner Muskulatur zu verlieren und überall von dem kohlenhydratreichen Zeug kleine Fettpolster anzulagern. Was ich immer vermutet habe: Meine Ausdauer liegt neben dem vielen Sporteln wesentlich stärker auf meiner anständigen Ernährung zu Hause begründet. Das heißt: Abwechslungsreich aber stark fleischlastig, viel Milch- und Milchprodukte. Dadurch habe ich trotz der vielen Bewegung nicht die ausgezehrte, sehnige Läuferfigur – sondern genug körperliche Reserven für wirklich weite Touren ohne Labestationen – trotz der vielen Ausdauersporteinheiten, die einen Körper meist auf eine „Haut- und Knochenstatur“ degradieren. Die besten Tourenrennläufer wiegen bei gleicher Körpergröße beispielsweise 10 bis 12 kg weniger als ich. Dafür bin ich verhältnismäßig zum „Trainings-“ pensum unter Volllast viel langsamer im Aufstieg.
Ich bin davon überzeugt, dass es mir auf Dauer bei der Ernährungsform wie wir sie momentan pflegen, nicht mehr möglich ist, problemlos über 3000 oder 4000hm am Stück zu gehen ohne was zwischendurch zu Essen oder mich danach so schnell zu erholen wie sonst.
Übrigens: Die Speisen in Argentinien sind großteils ähnlich zu Europa, charakteristisch sind meiner Erfahrung nach:
- Dulce de Leche (sprich: Dulze de Letsche): Das Nutella Südamerikas. Mit Milch verfeinerter, streichfähiger Karamell – immer und überall zu finden.
- Mate-Tee: Ein kunstvolles Gefäß in Größe einer Teetasse wird mit den „Kräutern“ gefüllt, mit heißem Wasser aufgegossen und mit einem verzierten Trinkstab (den man keinesfalls mit den Händen berühren darf) getrunken bzw. in der Runde weitergereicht, jeder trinkt einen vollen Aufguss.
- Empanadas: Teigtaschen mit verschiedener Füllung.
Am 6.9. befahren wir ebenfalls zwei Rinnen: eine ostseitig und gut aufgefirnt, die andere südseitig mit hartem, glatten Windpress. Heute fehlt von den Hunden jede Spur.
Die Bäche hier sind immer eingefärbt von dem extrem feinkörnigen Sand. Erstens ist der schmelzende Schnee aufgrund der Stürme selbst voller Sand und durch die teils schon staubartige Korngröße nimmt das Wasser auch auf den aperen Flächen einiges an Material mit. Ich habe in der Aconcagua Region kein einziges (!) Bachl gesehen, aus dem ich raus getrunken hätte.
Nord- und Südseiten zu Sonnen- und Schattenseite zuzuordnen, macht uns null Probleme. An was ich mich kaum gewöhne, ist, dass die Sonne durch die menschliche Sichtweise von rechts nach links über den Horizont wandert, nicht von links nach rechts wie auf der Nordhalbkugel.
Auf der Passstraße durch Cuevas, direkt an unserer Unterkunft, herrscht rund um die Uhr reger LKW-Verkehr. Sie stellt den wichtigsten Übergang zwischen Argentinien und Chile dar. Viele davon sind hoffnungslos überladen und müssen während der Auffahrt von Mendoza (750m) bis zum Tunnel am Pass (3250m) mehrmals stehen bleiben um den Motor zu kühlen. Viele neue LKW fahren leer nach Chile, dort werden nämlich keine Zugmaschinen produziert bzw. kaum per Schiff eingeführt. Was hier allgemein an Sprit und Gas verbraten wird bzw. mit ganz wenig Aufwand einzusparen wäre, ist um Größenordnungen mehr, als wir in Europa mit unseren mittlerweile krampfhaft und teils übertriebenen Versuchen sparen können.
Unsere Skikanten und -beläge schleift der dreckige Schnee stark ab. Gegen Ende unseres Aufenthaltes bricht zudem ein Frontzapfl von Florians Bindung ab. Ich gehe die geplante Rinne knapp nördlich des Canaleta Austriaca allein weiter, er weicht auf das normale Skigelände zum Pass Richtung Chile aus. Gott sei Dank kann er noch ganz gut Aufsteigen, Abfahren geht auch noch. Zurück bei der Unterkunft untersuchen wir den Schaden genauer – Ersatzteile zu bekommen ist hier nicht möglich. Alles funktioniert, nur in einem bestimmten Winkel mit Zug nach links oben fliegt man sofort heraus. Wir schrauben beide Auslösewerte am Hinterbacken eine Stufe unter’s Maximum hoch und machen noch ein paar Tests mit blockiertem Vorderbacken: Es funktioniert, nur weiterbrechen darf der Zapfen nicht. Und im Aufstieg ist es vor allem während des Schuh-Anhebens in der Spitzkehre möglich, dass Flo den Ski verliert.
Schlussendlich konnte er so alle restlichen Touren bis Ende September problemlos befahren, im Aufstieg hat er dafür die Ski meist getragen (was aufgrund der harten Schneeoberfläche aber nur ein kleiner Nachteil war).
Ich muss in diesem Zuge wieder gschafteln, weil das ein wirklich häufiges Problem vieler Skitourenreisender ist, und u.U. das Ende der Reise bedeuten kann.
Am verlässlichsten und für eine Reise in weniger erschlossene Gebiete am effizientesten, wo man ohnehin schon schwer zu schleppen hat, sind:
- Eine Dynafit-Standard LowTech Bindung: Radical ohne Rotationsvorderbacken oder Speed Turn (die „Ur-Lowtech“) bzw. die für andere Firmen – u.a. für Fischer mit der Speed Lite – exakt gleich gebauten Pendants. Keine Rennbindungen oder Leichtbaudinger deren Teile aus Aluminium statt aus Stahl gefertigt sind! Leider haben viele andere LowTech Nachbauten seit dem Patentauslauf um 2010 immer noch diverse Haltbarkeitsprobleme mit allen möglichen Teilen. Auch für mich persönlich nicht relevante „Verbesserungen“ bezüglich Auslöseverhalten machen das System nur anfälliger und bringen mit moderatem Fahrstil keinen Vorteil.
- ALUMINIUM Stöcke! Unter GAR keinen Umständen Carbon!
- Ein eher schmaler Ski. Nicht nur wegen des Gewichts, auch wegen des viel geringeren Fellwiderstandes. Ich hatte bei dieser Reise mit meinem 80mm-Ski den riesengroßen Vorteil gegenüber Flo mit seinem 110mm-Gerät, dass ich problemlos auf dem harten Schnee mit Fellen auch in steilsten Hängen aufsteigen konnte. Florian ist dagegen immer weggerutscht. Bei 3cm mehr Breite kann man einfach nicht mehr den Druck auf den Skirand aufbauen und kippt viel stärker zur Seite weg, rutscht dadurch immer wieder ab weil der Winkel zwischen Ski und Hang kleiner wird. Außerdem sind schmale Ski bei dem Schnee hier nicht viel schlechter zu fahren als breite. In der Bariloche Gegend war ich dagegen im großen Nachteil bei den Pulvertouren.
Der Aconcagua steht etwa 2000m aus der umliegenden Landschaft hervor und ist dementsprechend dem Wind noch viel stärker ausgesetzt. Dadurch hat er oft eine Wolkenhaube. Wir konnten dies nur einmal beobachten:
Unsere Berge sind übrigens wie eine Modelleisenbahn gegenüber der Landschaft hier. Man steht als kleiner Mensch davor und weil die Proportionen zwischen Flanken, Rinnen und anderen Strukturen sowie zwischen Tallänge und Gipfelhöhe in etwa gleich sind, fällt einem nicht auf, wie weit die Entfernungen sind. Das Matienzo Tal, das gleich hinter Cuevas hineingeht und wo man bis fast ans Ende hineinsieht, ist zum Beispiel fast 30km lang. Bis zur Matienzo Südwand am „Taleingang“ braucht man vier Stunden von Cuevas aus.
Die Schneedecke ist fast immer in ihrer Oberfläche unregelmäßig: Im Frühwinter mehr wegen des Windes, im Spätwinter aufgrund von Sonne und Wind. Die Windgangeln sind um ein Vielfaches stärker ausgeprägt als bei uns. Die Mischung aus trockener Luft, schwachem Wind und hoch stehender Sonne erzeugt ab Mitte August den Büßerschnee. Der Schnee sublimiert dadurch, geht direkt in Wasserdampf über und wird durch die Luft abtransportiert. Ich glaube, eine relativ große Menge geht so in den Sommer hinein verloren, wenn nicht sogar wesentlich mehr als schmilzt und abfließt. Während unseres Aufenthaltes hat sich die Schneedecke immer nur oberflächlich angefeuchtet, unter dem feuchten Teil lag immer nur schwach feuchter oder trockener Schnee.
Trotz der relativ warmen Temperaturen (Nullgradgrenze fast immer über 4000m, auch in der Nacht), hat sich keine völlig durchnässte Schneedecke ausgebildet – nirgends ab dem Schneebeginn bei ca. 3000m und in keiner Exposition. Trotz der hohen Temperaturen war die Schneeoberfläche am Morgen pickelhart, nur möglich durch die extrem trockene Luft hier.
Schneeprofilerstellen macht wenig Sinn: Die immer wieder eingelagerten Wind- Wärmekrusten waren derart hart, dass ich mir mein Schaufelblatt verbogen habe und wir ohne Säge auch teilweise nicht durchgekommen sind. Außerdem ist die Schneeverteilung so unregelmäßig, dass man schwer repräsentative Standorte findet.
In sehr steilen Südhängen gab es oberhalb von etwa 3700m die aufbauend umgewandelten Schichten bzw. am Aguas Saladas Sur eine bis zum Boden aufbauend umgewandelte Schneedecke. Sonst waren die Südhänge meistens ganztags pickelhart aufgrund des vom Wind extrem verpressten Schnees. In den anderen Expositionen hat die Schneedecke aufgefirnt bzw. wurde untertags weicher. Da es aber keinen durchfeuchteten Untergrund gab, ist man natürlich nicht durchgebrochen und stattdessen wurde der weiche Schnee an der Oberfläche nur langsam tiefer. Je später wir abgefahren sind, desto besser war der Schnee zum Skifahren. Da das aber nicht den „Zischfirn“ abgibt, den man von uns kennt (ein nachts ausgebildeter, tragender Harschdeckel auf durchnässtem Untergrund firnt auf), hab ich das gedanklich immer als „Andenfirn“ bezeichnet. Lawinenmäßig gab es also keine „Frühjahrssituation“, skifahrerisch aber schon. Je später wir unterwegs waren, desto sicherer wurde es für uns weil die Absturzgefahr abnahm.
Durch den oberflächlich durchfeuchteten Schnee in Sonnenhängen, waren die Felle immer gleich fetznass und sobald man in schattige Hänge gewechselt hat, hat es immer gestollt – das war ziemlich lästig.
Die immer wieder auftauchenden Büßerschneezacken (= Penitentes) waren zwischen fünf und zwanzig Zentimeter hoch und nur befahrbar, sobald sie untertags weicher wurden.
Dafür strahlt die Schneeoberfläche meist in wunderschönem, sandbraunem Teint.
Zitat:Gegen Ende unseres Aufenthaltes bricht zudem ein Frontzapfl von Florians Bindung ab….weil das ein wirklich häufiges Problem vieler Skitourenreisender ist, und u.U. das Ende der Reise bedeuten kann.
ENDE:
Das ist leider der Segen und Fluch der modernen Technik. Als ich das erstemal mit Ski in SA unterwegs war, hatte ich noch eine Silvretta 400. Da konnte man mit einem steigeisenfesten Lederbergschuh einsteigen und fahren und man hätte sie wohl überall auf der Welt reparieren (lassen) können.
Gewicht und Fahrkomfort steht auf einem anderen Blatt. :-)
Klasse Bericht übrigens, so wie die anderen #transandes auch.