(Warnung: Die Reiseberichte sind relativ lang und eher weniger für den flüchtigen Internetleser geeignet. Wen’s interessiert, sollte sich dafür Zeit bei einem Bildschirm größer als der eines Handys nehmen. Damit die langen Bildunterschriften die Fotos nicht verdecken, muss man am Handy die Desktop-Seite anfordern.)
Für besseres Verständnis empfehle ich, die Einführung zu lesen.
Nachdem sich mein Kamerade die Nordseite und -rinne des Hauptgipfels (spanisch: Cumbre Principal) der Tres Gemelos (Drei Zwillinge) schon bei seinem ersten Aufenthalt in Las Cuevas im Winter 2015 genauer angeschaut hat und wir vom Aguas Saladas Sur super Übersichtsbilder machen konnten, starten wir am 9. September zu „unserem“ 5000er. Wir haben uns in den ersten Tagen unseres Aufenthaltes schließlich auch ein gutes Bild von den Verhältnissen gemacht…
Florians Körper passt sich leider wesentlich langsamer an die Höhe an als meiner und unglücklicherweise ist sein Leistungsabfall stark ausgeprägt. So ist er von sich aus um vier Uhr aufgestanden und somit zwei Stunden früher als ich gestartet – damit ich in meinem Tempo gehen kann und nicht warten müsse. Danke nochmals Flo!
Ich akklimatisiere mich hingegen besser bzw. habe auch anfangs eher wenig gespürt. Interessanterweise hatte ich an den ersten Abenden ein Unruhegefühl aufgrund der höheren Atemfrequenz und in der Nacht relativ lange Atemaussetzer – was bei der Höhenanpassung laut Literatur aber häufig vorkommt. Sonst hab ich mich sehr gut gefühlt und auch der Leistungsabfall war bei den Touren bis 4800m Zielhöhe nicht extrem stark. Dafür hatte ich durch die Kombination der dortigen trockenen Luft und der Höhe in den ersten Tagen immer wieder Nasenbluten.
Also starte ich um halb Sieben in Cuevas, trage die Ski ebenfalls die 3/4 Stunde der Straße nach entlang hinaus zum Eingang in das kleine Seitental und folge Flo. Wir haben unsere Funkgeräte mit und haben bald eine Verbindung. Flo entschließt sich auf knapp 4400m am Eingang der Rinne aufgrund des Steinschlags umzudrehen und quert nach Westen raus (beim oberen Bild nach rechts) und will auf dem Westgrat zum Gipfel gelangen. Ich bin erst eine halbe Stunde später beim Rinnenbeginn und überlege eine Weile ob man die Rinne riskieren kann. Aber wie halt so oft hier nicht wegen der Lawinengefahr (man bewegt sich bis zum Gipfel auf der steilen Nordseite, also der Sonnseite, und das sollte unserer Abschätzung nach schneedeckenmäßig momentan stabil sein) sondern auch wegen dem Steinschlag. Im Auslaufbereich und auch in der Rinne selbst liegen zig fußballgroße Steine und man erkennt ihre Laufbahnen im Schnee aus der Rinne kommend. Ich zähle sie ab, und zähle die Tage, die seit dem letzten größeren Schneefall laut unserem Gastgeber vergangen sind. So komme ich im Milchmädchenstyle auf das Ergebnis, dass hier alle ein bis zwei Tage ein fußballgroßer Stein herunter kommt. Und der heutige ist schon bei Flo vorbeigeschossen. Ich ziehe die Steigeisen auf 4400m an und starte hinein in die Rinne. Naja, so gelassen kann man das natürlich nicht nehmen. Aber ich hab halt draus geschlossen, dass hier nicht jede Stunde ein großer Brocken runter kommt sondern nur im Durchschnitt einmal pro Tag oder seltener (und das eher am Nachmittag) und hab es deswegen als riskierbar betrachtet.
Ich halte mich dann im gesamten weiteren Aufstieg möglichst immer auf der äußerst rechten bzw. später linken Seite und habe bald ein steifes Genick, weil ich mit dem Kopf immer nach oben schaue. Stein ist schlussendlich keiner einziger runter gekommen während Aufstieg und Abfahrt, aber auch in der Rinne ist die Schneeoberfläche teils massenweise von kleinen Steinen übersät, die Zeuge tun, wie es hier am Nachmittag immer „hageln“ muss. Bis etwa 4900m habe ich meist eine harte Schneeoberfläche. Dann – genau dort, wo das Profil einen scharfen Knick macht und sich die Rinne von einem Meter auf den anderen um mehrere Grad aufsteilt – liegt plötzlich gesetzter, ganz schwach angefeuchteter Pulver bis zum Gipfel. Ich werde zwar noch langsamer im Aufstieg mit der zusätzlichen Spurarbeit aber irgendwann bin ich oben auf meinem ersten 5000er. Flo hat inzwischen aufgrund von Schwindelgefühlen am Weg zum Westgrat vernünftigerweise auf 4800m umgedreht. Ich mache ein paar Fotos und genieße, dass ich auf dieser Höhe mit lediglich einer Primaloftjacke nicht frieren muss. Die Abfahrt gestaltet sich bis zum beschriebenen, scharfen Übergang als recht anspruchsvoll aufgrund der reinen Steilheit – ohne dieser Pulverauflage wäre das ganze hier für mich nicht befahrbar. Danach bleibt es genau so anspruchsvoll, weil der harte, teils leicht vereiste Schnee an der Oberfläche noch nicht aufgefirnt ist und dazwischen immer Steine liegen. Warten will ich aber nicht aufgrund der Steinschlaggefahr. Dafür gibt es dann im Zustiegstal super Firn und ich treffe zeitgleich mit Flo bei der Straße ein. Wir tragen die Ski wieder die Dreiviertelstunde zurück nach Cuevas. Dort wundert es mich dann selbst, dass ich inklusive der Tragestrecken entlang der Straße hin und retour sowie der insgesamt 2400 Höhenmeter und der anstrengenden Stapferei im oberen Teil der Rinne nur 8h und 33′ von/nach Las Cuevas gebraucht habe.
Blick nach Norden ins Matienzo Tal äußerst links, dann klein der Matienzo (4990m, mit seiner Südwand, befahren von Flo im vorigen Winter), dann gleich rechts davon etwas wuchtiger mit großem Schatten der Tolosa (5350m) und dahinter alles beherrschend der Aconcagua. Unter dem Tolosa sieht man die Straße nach Las Cuevas.
Da wir beide auch aktive Paragleiter sind, fällt uns immer wieder auf, dass sich hier ein anderes Talwindsystem als zu Hause bildet: Der Wind weht zu jeder Tageszeit talauswärts, nur die Stärke nimmt am Nachmittag zu. Er dreht nie. Erklären konnten wir uns das bis zum Ende hin nicht wirklich. Zudem das auch immer so war – egal, wie stark das überregionale Windsystem ausgeprägt war. Vielleicht liegt’s daran, dass die extrem langen (teils über 50km) und wesentlich tiefer gelegenen Seitentäler weiter draußen aper waren und sich dort so viel mehr Luft erwärmen und aufsteigen konnte, dass die Luftmassen von weiter taleinwärts nach außen nachfließen mussten?
Unsere Touren und vor allem diese begeistern später eine Hand voll einheimischer Alpinisten. Nestor, unser Gastgeber, hat ihnen von uns erzählt. Vor allem Pablo möchte unbedingt genaue Informationen haben. Er hat einen sehr guten Führer auf Spanisch und Englisch für die an der Passstraße gelegenen Gipfel geschrieben: „50 Cumbres de 3000m a 5000m – Andes de Mendoza, Argentina“ und ist für die Berge an der Ruta 7 (= Straße zwischen Mendoza und der Grenze) wohl so jemand wie ich für’s Sellrain. Die Hälfte unserer Touren in Las Cuevas haben wir mit Basis dieses Führers geplant. Aufgrund von Pablos Informationen kann ich auch davon ausgehen, dass es sich hier um eine Erstbefahrung handelt. Aufgestiegen sei auf der Route aber bereits jemand.
Einige dieser Leute machen aber den Eindruck, als ob sie uns nicht glauben würden. Fast alle Touren, die wir von Las Cuevas aus gemacht haben, werden hier als Zweitagestouren durchgeführt und auch in Pablos Führer mit möglichen Biwakplätzen beschrieben. Allerdings natürlich ohne Skiunterstützung.
Nachdem ich mittlerweile genaue Informationen und Fotos weitergeben konnte, scheint man uns zu glauben und unser Cuevas Ausflug wird als „Aquí la info de primera mano de la actividad „paranonormales“ de estos dos austríacos!“ also „Hier Infos aus erster Hand über die paranormale Aktivität der beiden Österreicher!“ im Facebook kundgetan. Für mich ist der ideelle Wert einer solchen Besteigung hier aber nicht so hoch. Ich finde, die 4000er sind hier vom persönlichen Wert wie ein 3000er bei uns und dieser 5000er wie ein niedriger 4000er in den Alpen. Es gibt sie ja massenweise und man startet seine Tour auf über 3000m – was soll dann großartiges dabei sein? Und wegen der Höhe ist man halt „nur“ langsamer, sonst ändert sich ja nichts. Hier ist es ja nicht mal wirklich kalt. Außerdem ist es hier ein leiches, etwas als erster zu befahren. Daheim finde ich das schon interessanter, weil man dort nicht mehr ganz so einfach was findet, wo noch niemand vor dir abgefahren ist.
Noch ein paar Fotos zu den beschriebenen Phänomenen der vorigen Blog-Einträge:
Habe auch ein paar Bergzeitschriften mit für die Abende in der Refugio Viento Blanco:
Otti geht übrigens noch die 1430hm auf den Zwieselbacher im Winter…
Servus Lukas,
Danke, dass Du Deine Erfahrungen auf so großartige Weise mit uns teilst. Du schaffst es noch und motivierst mich mehr als 15 Jahre nach meinem ersten und letzten 5000er (Elbrus, wir sind wegen Wettersturz eh nur bis ca. 5300 gekommen) zu einem weiteren „hohen Projekt“.
Grüße aus dem bay. Oberland,
Arnold