Zum Einlesen in die kommende Saison, der persönliche Winterrückblick der Saison 2017/18.
Ich habe dieses Jahr intensiv am Tiroler Teil im Saisonbericht der österreichischen Lawinenwarndienste mitgearbeitet. Mehr Hintergründe und einen ausführlichen, schriftlichen Rückblick gibt es dort. Hier erhältlich über den Österreichischen Alpenverein.
Der September war durchwegs trüb mit regelmäßigen Schneefällen bis zur Waldgrenze. Den ersten Ski-Schneekontakt gab es am 21.09.2017. Die Tauern bekamen eine satte Ladung Neuschnee und wir konnten eine Gletschermessung am Stubacher Sonnblickkees an der Rudolfshütte bereits sehr gut mit Ski durchführen.
Wie üblich haben wir die heimische Saison am Stubaier Gletscher eingeläutet. Die Verhältnisse der Jahreszeit entsprechend recht gut.
Der Oktober hatte eine ausgesprochen warme Hochdruckphase im Gepäck. Erst Ende Oktober gab der Winter ein weiteres Lebenszeichen von sich.
Anfang November dann die ersten massiven Schneefälle bis in die Täler. Stichwort: Hoadln.
Im November hat es schließlich regelmäßig geschneit. Die Verhältnisse waren bereits sehr gut. Pulver stand an der Tagesordnung. Sellrainer Standardtouren wurden großteils angespurt.
Anfang Dezember hat sich die erste von drei Phasen mit großteils stabiler Schneedecke ergeben. Und dazu eine bereits recht mächtige Schneedecke und Pulver!
Vor allem unterhalb von 2000m lag in den letzten Wintern nie soviel Schnee. Weder zu Beginn, noch am Ende.
Im Jänner dann die extremen Schneefälle samt Wind. Einmal in der ersten Jännerwoche, sowie vom 16.01. – 23.01..
Im Westen Tirols herrschte einen Tag Lawinenwarnstufe 5. Dies war letztmals 2001 der Fall. Zwischen den Schneefallphasen lag Mitte Jänner allerdings die zweite Phase mit tollen, überaus stabilen Bedingungen.
Da wir kaum relevante Schwachschichen im Altschnee hatten, gab es auch nur verhältnismäßig relativ wenige große Lawinen während der 5er Situation um den 22.01. (bzw. einem scharfen 4er in den Stubaiern). Die meisten Lawinen sind im Neuschnee gebrochen oder maximal in „kalt auf warm“-Schwachschichten im besonnten Gelände in gewissen Höhenbändern. Wer darin stärker interessiert ist, hier eine genauere Analyse der Lawinensituation während der Starkschneefälle Ende Jänner.
Wie es schneereiche Winter mit sich bringen, war dafür die Gleitschneelawinen-Aktivität gewaltig. Vor allem in den schneereichsten Regionen bzw. dort wo es viele Grasflächen gibt, wie der Arlberg, das Außerfern oder die Tuxer Alpen. Ich habe derart viele Gleitschneelawinen und -risse auch im Sellrain noch nie beobachtet. Auch im letzten, sehr schneereichen Winter 2011/12 nicht.
Interessant: ist der Frühwinter schneearm und bilden sich dadurch bodennahe Schwachschichten aus, gibt es auch in einem sehr schneereichen weiteren Winterverlauf keine sehr hohe Gleitschneeaktivität. Facetten am Grund der Schneedecke behindern das Schneegleiten…
Mehr zum Thema Gleitschnee im Sellrain hier.
Ende Jänner/Anfang Feber – etwa 1 Woche nach dem 5er – hat sich eine der besten Situationen für Steilwandabfahrten ergeben seitdem ich Skitouren gehe. Es gibt halt mittel- und langfristig nichts besseres für die Schneedeckenstabilität als Starkschneefälle. Für einige Tage fand man supersicheren Pulver in Bereichen & Hängen, wo meist nicht einmal Schnee liegt. Nur in N, NW & W-Hängen lag höher oben wesentlich weniger Schnee als in den letzten Wintern weil der ständige NW-Wind während der Schneefälle sie vollkommen leerfegte.
Das besondere an der Situation: Ich habe eine Abfahrt gemacht, die ich aufgrund der Steilheit nur bei Pulver als machbar auf der Liste hatte (nicht bei Firn). Doch derart sichere Pulversituationen gibt es praktisch nur im Frühjahr. Aber ab Ende Feber konnte man diese Abfahrt wiederum nicht mehr wagen, da sie sofort von Lockerschneelawinen stark gefährdet ist. Ich habe darum einige Jahre auf eine sichere Früh-/Hochwinter-Pulversituation warten müssen.
Wir konnten in einer guten Woche einige weitere, gewaltige Abfahrten realisieren.
Interessant: In einem gewissen Höhenband in sehr steilen Südhängen lag Anfang Feber frischer Pulver auf einer zuvor gebildeten Kruste. Sluff-Management war dadurch in Steilheiten von 35°-40° bereits ein großes Thema! Man hat bei jedem Schwung eine kleine Lockerschneelawine („Sluff“) ausgelöst. Diese hat einen bald überholt und barg eine große Mitreißgefahr. Normalerweise ist Sluff-Management nur bei extremen Abfahrten beim Freeriden ein Thema. Mehr zum Thema aber im Saisonbericht der LWDs.
Gleichzeitig stellt sich kurzfristig eine ganz besondere Situation bezüglich Lawinengefahr ein: durch eine facettierte (= aufbauend umgewandelte) Altschneeoberfläche und schwachen Wind, der ganz kleine Triebschneepakete erzeugte die ganz, ganz vereinzelte Gefahrenstellen ausschließlich im kammnahen Gelände zur Folge hatten. Die Schneebrettlawinen sind sehr klein geblieben, allerdings waren sie schon mit einem schiefen Blick oder einem Furz auslösbar. Die Situation ist derzeit nicht offiziell mit einer Gefahrenstufe nach der Europäischen Matrix (womit die Gefahrenstufen bei uns festgelegt werden) beschrieben – man lernt immer wieder dazu.
Ab Mitte Feber herrscht eine zweiwöchige Kältephase mit teils tollem Wildschnee.
Mitte Feber hat sich zwischen zwei Krusten – die sich nur sonnseitig durch die Einstrahlung gebildet haben – eine facettierte Schwachschicht entwickelt. Die kleinen, kantigen Kristalle haben uns aufgrund der Stabilitätstest-Ergebnisse massiv in Alarmbereitschaft versetzt. Ab 19.02. war es in sonnseitigen Hängen zwischen 2300m und 2800m hochgiftig. Das Schneebrett oberhalb der Schwachschicht ist durch Neuschnee und Wind inzwischen dazugekommen. Die Situation sollte bis Ende März durch weitere, oberflächennahe Schwachschichtbildungen des so genannten Gefahrenmusters „kalt auf warm“ in Sonnenhängen so bleiben. Wir haben uns sonnseitigen Steilhängen von Mitte Feber bis Ende März komplett ferngehalten. Das ist uns aber auch nicht schwer gefallen: Schattseitig gab es meist tollen und ziemlich gefahrlosen Pulver. Wie beispielsweise am folgenden Video:
Ich habe im Feber einen Artikel namens
veröffentlicht. Mit dem Plädoyer, immer nach der jeweiligen Situation zu agieren und sich niemals von Faustregeln in den Tod leiten zu lassen.
Oder auf Neudeutsch: Je situations-elastischer man reagiert, desto besser. Eigentlich ist Anpassungsfähigkeit doch eine der großen Stärken der Menschen. Vor allem bei der Schneedecke heißt es, sich in kürzester Zeit anzupassen und dabei innerhalb von Tagen und oft sogar Stunden vollkommen unterschiedlich zu agieren.
Ende Feber der Höhepunkt der Kältephase. Auf den höchsten Messstationen fallen die Temperaturen auf deutlich unter -30°C. So kalt, wie seit den 80ern nicht mehr. Da es schattseitig keinen Grund zur Sorge innerhalb der Schneedecke gibt, dürfen wir wenigstens immer sonnseitig graben. Zumindest dort, wo wir uns auch hintrauen. Das heißt: sonnseitige Mini-Hänge mit flachem Auslauf finden die man aber schattseitig erreichen kann. Außerdem müssen die Profilhänge in dem Höhenband liegen, wo die Schwachschicht vorhanden ist.
Der März war ist fast durchwegs trüb ohne nennenswerten Neuschnee, die Verhältnisse solala. Nachdem sich aber in der Schneedecke mittlerweile weitere „kalt auf warm“-Probleme entwickelt haben, bereiten wir uns mehr Freude durch weitere Schneeprofile.
Erst Ende März hat sich der Winter wieder von seiner schönsten Seite gezeigt.
Mit dem Monatswechsel von März auf April schließlich der Einzug des Sommers. Firn gab es bis zur großen Wetterumstellung noch an keinem einzigen Tag in der Saison. Der April war so warm wie ein durchschnittlicher Mai. Jetzt gab es Firn in Hülle und Fülle. Nur das gute Zeitfenster am Morgen wurde durch die warme, teils sehr feuchte Luft, immer kürzer. Die Schneedecke raffte dahin, vor allem weiter unten. Bei uns zu Hause auf 1500m ist eine ca. 1m mächtige, gesetzte Altschneedecke nach dem „Auffüllen“ der Temperaturreserve (sobald die Schneedecke durchwegs auf 0°C erwärmt wurde) innerhalb von ca. 10 Tagen vollständig abgeschmolzen. Bis auf knapp über 2000m sind bis zu 10cm pro Tag an Schnee geschmolzen. Dadurch wurden bei einigen Flüssen neue Pegelhöchststände für die Jahreszeit erreicht, und dabei werden diese in Tirol teils seit den 1950ern gemessen!
Die Lawinenaktivität durch Schneebrettlawinen hielt sich aufgrund der inzwischen wieder großteils stabilen Schneedecke in Grenzen. Die oberflächennahen Schwachschichten durch „kalt auf warm“ waren inzwischen wieder versintert bzw. durch oberflächliche Durchfeuchtung der Schneedecke zerstört. Doch Gleitschneelawinen und nasse Lockerschneelawinen waren auf jedem Schritt und Tritt zu sehen.
Da wir mit den Vier Elementen (Höhe, Exposition, Steilheit, Zeit) umgehen gelernt haben und sie auf Lawinengefahr und Schneequalität anwenden können, konnten wir noch eine Hand voll lässige Abfahrten in Restpulver und natürlich im Firn realisieren.
Am 18.04. hab ich mit der Sellrain-Sinfonie noch eine sehr lässige Eintages-Durchquerung gemacht.
So früh gab es noch nie Sommerfirn bis in so hohe Lagen: Um den 20. April hat er sich innerhalb von wenigen Tagen gebildet.
Sommerfirn ist gekennzeichnet durch das Fehlen von Schwachschichten, einer sehr hohen Festigkeit, einer unregelmäßigen Schneeoberfläche und bremsenden Eigenschaften zum Skifahren. Er ensteht, wenn der Wassergehalt in der Schneedecke nach dem Durchfeuchten im Frühjahr wieder abnimmt. Sommerfirn besteht aus Schmelzformen die nicht gefroren sind aber trotzdem annähernd die Festigkeit von gefrorenen Schmelzformen entspricht (= Schmelzkrusten). Schneebrettlawinen gibt es bei Sommerfirn nicht mehr, dafür Gleitschneelawinen. Die Oberfläche erinnert sehr stark an den Wasserabfluss bei Regen auf eine Hochwinterschneedecke. Vermutlich wird die Obrflächenform auch durch den Wasserabfluss erzeugt, nicht durch die Strahlung wie häufig angenommen. Für Sommerfirn braucht man einen möglichst hohen, absoluten Wärmeinput auf eine möglichst mächtige Ausgangsschneedecke aus dem Hochwinter. Die Dauer ist nach Beobachtungen der letzten Jahren vermutlich auch ausschlaggebend: Je schneller und intensiver die Wärme wirkt, desto eher bildet sich Sommerfirn. Mehr Infos zum Sommerschnee, sommerfestem Schnee, Wabenschnee, englisch Suncups oder eben dem Sommfirn findet man in diesem Schneegestöber.
Eine weitere Spezifizierung und eine Einordnung der Schnee-Ablationsformen nach meinen Beobachtungen der letzten Jahre folgt in einem Schneegestöber kommende Saison.
Der Mai hat weitergemacht wie der April: Extrem warm, wenig Niederschlag und extreme Schmelzraten. Ein kurzer Dämpfer Mitte Mai mit 30cm Neuschnee weiter oben hat daran wenig geändert. Meist herrschte „gradientschwaches Gammelwetter“ wie ich es bezeichne. Eigentlich typisch für den Sommer in unseren Breiten.
Der Hetz, wie man in Tirol sagt, darf am Berg hie und da nicht fehlen.
Den Mai haben wir auch für Ausflüge genützt:
Schlussendlich war es in Kühtai einer der frühesten Tage mit einer letztmalig durchgehend möglichen Abfahrt bis zur Straße vom Gaiskogel seit 2010. Die Aufzeichnungen:
2010: 7. Juni
2011: 20. Mai (schneearm und extrem warmes Frühjahr)
2012: 1. Juni
2013: 14. Juni (extrem kalte und schneereiche Zeit im Mai und Anfang Juni)
2014: 1. Juni
2015: 3. Juni
2016: 6. Juni
2017: 26. Mai
2018: 25. Mai
Man sieht also wieder: Die Schneemenge des Hochwinters sagt nur wenig bis gar nichts über die Dauer der Skitourensaison aus.
Die Grafiken kann man übrigens alle über die Produkte des Landes Tirol einsehen: Über Hydro Online oder LAWIS.
Ende Mai schließlich unausweichlich: Die Skitragesaison beginnt.
Im Juni lassen wir die Saison klassisch ausklingen…
Am 26.06. war ich nach Neuschnee nochmal kurz mit den Ski im Ötztaler Gletscherskigebiet spazieren und hab mich danach dem elendig heißen Sommer ergeben.
Alles in allem wieder eine gewaltige Saison. Vieles gelernt, noch viel mehr gesehen, viele Projekte durchgeführt, viele tolle Abfahrten erlebt. Wir leben in der schönsten Gegend der Erde – den Alpen :)