Neuschnee
Seit Ende April hat es bei uns am Berg bereits über 1 Meter Neuschnee gegeben. Derzeit (20.05.) schüttet es bei einer Schneefallgrenze von 2000m – 2200m. Die Modellrechnungen bis Mittwoch schwanken sehr stark. Aber man kann mit zumindest einem halben Meter an Neuschnee rechnen.
Jetzt spielt unsere Region ihre besten Karten aus: Die Absoluthöhe und vor allem auch die per Auto erreichbare Höhe am höchsten, auch im Winter befahrbaren, Pass Österreichs – Kühtai. Während es vor allem in den niedrig gelegenen, dafür aber im Hochwinter schneereichen Nordstauregionen bis fast ganz hinauf regnet und damit der an sich viele Schnee von den dortigen, niedrig gelegenen Ausgangspunkten zwischen 1200m und 1600m dahinrinnt, schneit es bei uns bis fast zu den Ausgangspunkten hinunter. Die Schmelze hält sich damit entweder in Grenzen oder es kommt sogar noch Schnee dazu. Zwischen 2200m – 3000m – wo sich bei uns der Hauptbereich des Skitourengeländes befindet – schneit und schneit und schneit es…
Schneemenge
Die Maximalschneehöhe des Winters ist damit in der Höhe immer noch nicht erreicht.
Wird sie Mitte der Woche erreicht? Oder erst Mitte Juni? Man weiß es noch nicht. 2013 wurde die Maximalschneehöhe des Winters auf 3000m erst um den 10.06. erreicht. Das ist aber nicht außergewöhnlich und alle paar Jahre der Fall.
Außergewöhnlich hingegen ist die Schneemenge zwischen 1700m und etwa 2400m. So viel Schnee habe ich noch nie Ende Mai in diesem Höhenbereich gesehen. Die Schneemenge entspricht in diesen Bereichen einem durchschnittlichen Aprilende.
Auch 2013, als es im Mai und Anfang Juni regelmäßig und teilweise sehr viel Neuschnee gegeben hat und man bis Mitte Juli sinnvoll auf Skitour gehen konnte, lag in diesem Höhenbereich um diese Zeit deutlich weniger Schnee.
Altschneegrenze
Die geschlossene Schneedecke beginnt schattseitig etwa bei 1700m – 1800m. Sonnseitig bei – natürlich je nach Hangsteilheit – 2000m bis 2300m.
Tragestrecken im Sellrain
Senderstal: Wenige Minuten
Lüsens: Richtung Längental und Lüsener Ferner: Bis etwa 1800m, Abfahrt noch fast bis in den Talboden möglich. Schöntal: Etwa bis zur Waldgrenze.
Praxmar: Zischgeles bis etwa 1800m.
Haggen – Kraspestal: Wenige Minuten bis zum Beginn des Lärchwaldes auf 1700m.
Gleirschtal: Zirka 1800m.
Klammbachtal – Rietzer Grieskogel: 2000m.
Kühtai, Längental, Mittertal: Sonn- wie schattseitig noch lange vom Auto aus machbar.
Wörgetal – Wetterkreuz: Noch wenige Tage vom Auto aus. Derzeit eine kurze Unterbrechung zu Beginn im Wald. Mit kurzer Tragestrecke noch mindestens 10 Tage.
Alle Schneegrenzen steigen jetzt aber (vor allem wenn die Schneefallgrenze beim Niederschlagsereignis zur Stunde nicht absinkt) markant an und die Tragestrecken verlängern sich täglich rasant.
Gipfelanstiege
Viele Gipfelanstiege die im Hochwinter immer abgeblasen sind, sind inzwischen mit Ski begehbar. Warum das so ist, habe ich kürzlich hier erklärt. Das ist nicht außergewöhnlich und immer wieder im Mai der Fall – wenn die Art des Schneefalls vom „Hochwintermodus“ mit Kälte und Wind auf den „Sommermodus“ mit weniger Wind, Wärme und mehr gewitterzellenartigen Niederschlag wechselt.
Derzeit kann man am Zischgeles über den Normalanstieg entlang des Grates mit Ski problemlos ohne Felsberührung bis zum Kreuz aufsteigen. Die Kette zum Schluss auf der Felsplatte ist komplett eingeschneit, kein Fels schaut dort heraus. Der Schnee am Grat ist auch kompakt und gut mit Fellen begehbar. Der Anstieg mit Ski bis zum Kreuz ist ebenso am Sulzkogel und am Gaiskogel möglich.
Schneequalität
Zum Skifahren gibt es durch den Neuschnee leider meistens schlechte Schneequalität. Neuschnee um diese Jahreszeit verlängert zwar die Saison aber bringt wieder einige Tage an denen die Ski mehr als Abstiegshilfe denn als Spaßgerät dienen. Dies liegt an den bremsenden Eigenschaften von Neuschnee zu dieser Jahreszeit. In erster Linie aufgrund der hohen, absoluten Luftfeuchtigkeit und der starken, lang anhaltenden Strahlung. Wenn es nicht schneien würde, wäre die Schneequalität viel besser.
Exkurs: Warum ist die Schneequalität bei Neuschnee im Frühsommer meistens schlecht?
Die Strahlung
Der regelmäßig fallende Neuschnee ist nur während des Schneefalls und unmittelbar danach weit oben und sehr steil schattseitig zum Skifahren brauchbar. Das heißt, er ist dann noch trocken, nicht bremsend und pulvrig. In allen anderen Höhenlagen oder Expositionen ist er feucht oder nass und extrem bremsend. Spätestens ab Mittag des ersten Tages nach Schneefall wenn die Sonnenstrahlung direkt oder indirekt (diffus) durchscheinen oder -blinzeln kannt, ist er auch steil nordseitig sofort angestochen, pappig und kurz danach bremsend. Neuschnee um diese Jahreszeit verschlechtert die Schneequalität großteils durch die bremsenden Eigenschaften. Die Kristallform von Neuschnee klebt im feuchten Zustand richtig am Belag. Die Kristallform von Altschnee bekommt erst bremsende Eigenschaften sobald sie stark durchnässt ist. Im schwach feuchten Zustand bremst Altschnee nicht, sondern schmiert hervorragend.
Warum das derart schnell geht? Die Sonne geht nicht mehr im Osten auf und im Westen unter – sondern im Nordosten und im Nordwesten. Zudem steht sie Mittag über 60° steil im Süden. Das heißt, direkte Nordhänge die über 60° steil sind (!) bekommen jetzt direkte Sonnenstrahlung zu Mittag! Die Sonne scheint schon über 15 Stunden pro Tag.
Ende Dezember geht die Sonne im Südosten auf, im Südwesten unter, steht Mittag maximal auf 19° und scheint nur etwas über 8 Stunden pro Tag. Sie schafft es damit nicht einmal in Nordhänge zu scheinen die steiler als 20° sind! Derzeit steht sie schon um 07:30 am Morgen so hoch wie im Dezember zu Mittag! Tipp: Ein Sonnenstandsrechner zum Herumspielen.
Die absolute Luftfeuchtigkeit
Sobald der Taupunkt – ein Maß für die absolute Luftfeuchtigkeit – Mitte Mai häufig und oft durchgehend über 0°C steigt, wird der Schnee für genussvolle Abfahrten deutlich schlechter. Aufgeweicht bremst er und ist im gefrorenen Zustand nach einer klaren Nacht nicht mehr rau und griffig sondern glatt und rutschig.
In meinem Kopf gibt es folgende Faustregel:
Taupunkt nur selten über 0°C = Steilabfahrtensaison des Frühjahrs mit entsprechend guter Schneequalität, dafür auch häufig Bruchharsch. Taupunkt nur mehr selten unter 0°C = Frühsommer-Ausklangsskitourensaison hat begonnen. Die Schneequalität ist nur mehr teilweise gut, der Schnee bremst häufig stark. Lockerschneelawinenkegel und Knollen säumen alle Steilhänge bis in hochalpine Gefilde. Der Harschdeckel der sich in klaren Nächten bildet, ist wesentlich seltener (durch inzwischen fehlende Sublimation der Schneeoberfläche) rau und griffig. Dafür gibt es kaum mehr Bruchharsch. Die hohe Strahlungsenergie und der fehlende Energieenzug der Schneeoberfläche durch Sublimation aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit lassen den Schnee derart schnell setzen und verfestigen, dass sich unter Krusten meist kompakte Schneeschichten befinden. Damit bricht maximal der Deckel an der Oberfläche aber man bricht nicht mehr ein, weil der Schnee darunter zu hart und kompakt ist.
Der Taupunkt hat in den Alpen auch einen schwankenden Jahresverlauf, wie die Lufttemperatur. Am tiefsten ist er vom Herbst bis in den Feber. Durchschnittlich ab Mitte Mai steigt er dann auf den Messstationen zwischen 2000m und 2500m regelmäßig über 0°C und fällt häufig auch nicht mehr unter 0°C ab.
Sobald der Taupunkt nämlich über 0°C steigt, kann Schnee nicht mehr sublimieren, also direkt in Wasserdampf übergehen. Damit bleibt nur mehr die Schmelze. Der geschmolzene Schnee bleibt also an der Schneeoberfläche als Wasser liegen. Diese stärkere Durchfeuchtung der Schneeoberfläche verdanken wir den bremsenden Schnee aber auch häufig einen viel glatteren Harschdeckel als im März oder April. Denn wenn Schnee nur mehr schmilzt und in klaren Nächten wiedergefriert, bildet das Schmelzwasser mit den verbleibenden Schneekörnern eine glatte Oberfläche. Sublimieren Schneekörner hingegen noch zusätzlich zur Schmelze, bilden sie den rauen Harschdeckel. Nebenbei rinnt der Schnee jetzt buchstäblich dahin weil mit der Sublimation auch ein riesen Kühleffekt an der Schneeoberfläche verloren geht.
Sobald der Taupunkt über 0°C steigt, spricht man auch von Tauwetter. Schnee sublimiert und schmilzt dann nicht mehr gleichzeitig, sondern er taut. Das sind im Grund drei unterschiedliche Vorgänge im Kopf.
Das heißt, er schmilzt nur mehr. Und zwar viel, viel, viel schneller als es in der Kombination Schmelze + Sublimation der Fall ist.
Lawinengefahr
Diese beschränkt sich inzwischen fast nur mehr auf Gleitschneelawinen und vor allem auf Lockerschneelawinen.
Gleitschneelawinen sind fast unberechenbar. Im Sellrain ist es auch sehr unwahrscheinlich von einer verschüttet zu werden da die Bodenoberfläche dazu nur in ganz wenigen Bereichen passt. Am ehesten gibt es noch mögliche Gleitschneelawinen am Fahrweg zur Wasserfassung im Klammbachtal am Anstieg zum Rietzer Grieskogel. Vom Kleinen Mugkogel können hier immer noch Gleitschneelawinen auf den Fahrweg abgehen und sind kürzlich auch noch abgegangen.
Lockerschneelawinen sind die Hauptgefahr zu dieser Jahreszeit. Vor allem nach Schneefällen spielt die Lockerschneeaktivität jetzt richtig Granada. Teilweise werden die Lawinen auch erstaunlich groß.
Schneebrettlawinen gibt es noch sehr vereinzelt während oder kurz nach Neuschnee. Sobald sich der Neuschnee an der Oberfläche durch Strahlung zu binden beginnt, kann ganz kurzfristig die Konstellation Schneebrett zu Schwachschicht passen. Also gebundener Neuschnee als Brett und drunter noch lockerer Neuschnee als Schwachschicht. Das ist aber kaum mehr relevant und man sieht nur ganz, ganz vereinzelt Lawinen die dadurch abgegangen sind.
Relevant werden könnte ein besonderer Prozess der Bildung von Schwachschichten im Altschnee, siehe nächste Überschrift.
Altschneeproblem
Der Tiroler Lawinenwarndienst spricht in seinem letzten Blogeintrag von möglichen gm.4 (Kalt auf Warm) Schwachschichten in hochalpinen Bereichen. Es liegen aber zu wenig Informationen vor um diesen Prozess entsprechend gut einschätzen zu können.
In der Region Kühtai-Sellraintal habe ich in letzter Zeit nur eine Schneebrettlawine gesehen. Diese hatte aber keinen Zusammenhang mit einer Schwachschicht aus Kantigen Kristallen (Diese Schwachschicht ist eine mögliche Art des Altschneeproblems). Die Ausprägung in unserer Region ist durch die geringen Temperaturunterschiede in der Schneedecke beziehungsweise innerhalb des Neuschnees auch unwahrscheinlich und am ehesten für Bereiche oberhalb von 3.000 m denkbar. Es kommt also nur wenig „Fläche“ der Sellrainer Berge dafür potentiell in Betracht.
Für meine Tourenplanung ist ein Altschneeproblem derzeit nicht relevant.
Wenn man mehrere, frische, großflächige Schneebrettlawinen sieht, sollte man im Höhen- und Expositionsbereich der beobachteten Lawinen besonders vorsichtig sein. Auch Setzungsgeräusche deuten zu dieser Jahreszeit vor allem auf die kurzfristige Ausprägung von Schwachschichten durch Gefahrenmuster 4 hin. Höhe und Exposition des Setzungsgeräusches merken, diese Bereiche forthin meiden oder dort besonders defensiv unterwegs sein ist meine Art damit umzugehen – falls ich derartige Beobachtungen mache. Aber wie gesagt, im Moment für mich persönlich nicht relevant und wenn es dazu kommen sollte, dann nur ganz kurz ein Thema.
Fazit
Zwischen 2400m und 1700m liegt noch erstaunlich viel Schnee. Weiter oben liegt zwar auch viel Schnee, das ist für die Jahreszeit aber nicht außergewöhnlich und kommt immer wieder vor. Noch kann man die meisten Touren bei uns vom Auto aus oder nur mit kurzem Skitragen begehen. Dies ändert sich derzeit an den Ausgangspunkten unterhalb von 2000m aber rasant.
Der limitierende Faktor für Skitouren ist aber noch weniger die Tragestrecke. Der limitierende Faktor ist inzwischen die Schneequalität. Klare Nächte, ein sehr früher Start und einen gutes Expresswachs sind obligatorisch.
Die Lawinengefahr ist unkompliziert selbst einschätzbar. Vor allem nach Schneefällen muss man sich genau Gedanken über die Route und das Einzugsgebiet oberhalb der Route machen. Lockerschneelawinen begleiten einen auf Schritt und Tritt – sie sind dafür gut handlebar.
Hoffentlich kommt es mittelfristig zu keiner abrupten Schmelze samt Regen bis weit hinauf und damit einhergehendem Hochwasser.
Einkehren & Übernachten
Die meisten Betriebe sind im wohlverdienten Betriebsurlaub. Nur der Forellenhof in Haggen hat von Donnerstag bis Sonntag und feiertags zum Einkehren geöffnet.
Ein Zimmer mit Halbpension bekommt man derzeit nur im Gasthof Ruetz in St. Sigmund. Von Anfang Juni an haben wir auch den Restaurantbetrieb wieder geöffnet. Heuer in der beginnenden Sommersaison wohl weniger für Bergsteiger als für ambitionierte Skitourengeher ;-)
Super Überblick, danke :)!
Ebenso Vergelt’s Gott!
Du hast geschrieben: „Das heißt, direkte Nordhänge die über 60° steil sind (!) bekommen jetzt direkte Sonnenstrahlung zu Mittag!“ Kann es sein, dass du das verwechselt hast und Nordhänge, die weniger als 60° steil sind, meintest?
Wenn die Sonne 60° hoch steht, um 13:15 Sommerzeit im direkten Süden. Dann bekommen direkte Nordhänge die gleich steil sind noch ganz flache Strahlung direkt von der Sonne ab.
Vergelt´s Gott!!