Der Euregio-Lawinenreport bringt seit 2018/19 einige Neuerungen in die Welt der Lawinenwarnung. Dazu gehört unter anderem die Funktion Gebiete mit einem gewissen Lawinenproblem hervorzuheben oder zu dimmen – perfekt um schnell einen Überblick über Schwachschichten im Altschnee zu bekommen.
Altschneeprobleme richtig handhaben
Um Altschneeprobleme zu managen, gilt es, ihnen viel großräumiger auszuweichen als den meisten anderen Lawinenproblemen. Das heißt, man meidet möglichst Hänge in den beschriebenen Höhenlagen und Expositionen und wenn man doch welche davon betritt, bleibt man sehr, sehr defensiv.
Wie explizit sind die Höhenabgrenzungen und Expositionsangaben bei den Lawinenproblemen? Es gibt extreme Unterschiede in der Schärfe und Zuordenbarkeit der fünf Lawinenprobleme an die Höhenlage und Expositionen. Im Folgenden besprechen wir alle fünf durch.
Neuschneeproblem
Das Neuschneeproblem tritt immer in allen Expositionen auf und wird mit zunehmender Höhe kritischer. Es schneit natürlich in allen Expositionen (ohne Windeinfluss) gleich viel, mit der Höhe steigt die Niederschlagsmenge an und der Neuschnee wird kälter und damit spröder und leichter als Schneebrettlawine auslösbar. Damit kann man das Neuschneeproblem nicht nach Expositionen differenzieren und keine scharfe Höhenabgrenzung verwenden da es kontinuierlich nach oben hin problematischer wird.
Triebschneeproblem
Beim Triebschneeproblem trifft in Sachen Höhenabgrenzung das gleiche zu. Je weiter man hinauf kommt, desto stärker der Wind, desto mehr Neuschnee und desto kälter. Das heißt, die Triebschneebereiche werden in der Regel nach oben hin umfangreicher und leichter auslösbar durch die tieferen Temperaturen. Dafür kann man im Lawinenreport das Triebschneeproblem schon etwas schärfer als das Neuschneeproblem in der Höhenangabe abgrenzen – auch wenn die Abgrenzung immer noch als ein sehr grober, fließender Übergang zu sehen ist. Bezüglich betroffener Expositionen funktioniert es schon wesentlich besser, weil der meiste Triebschnee immer – aber nicht nur! – in den Leehängen liegen wird. Also genau in den Expositionen gegenüber der Hauptwindrichtung.
Zum anderen verbinden sich aber die Schwachschichten im Triebschnee durch Wärme schneller und der Triebschnee wird dadurch nicht mehr als Schneebrettlawine auslösbar. Das heißt, nach der Bildung des letzten Triebschnees und steigenden Temperaturen samt Sonnenschein beruhigt sich die Lawinengefahr in besonnten Hängen schneller als in Schattenhängen.
So kann man das Triebschneeproblem nach Exposition bei der Bildung grob eingrenzen wobei es durchaus auch frische Triebschneepakete durch die lokale Windumlenkung auch in den anderen Expositionen gibt. Und sobald das Triebschneeproblem sich bei Schönwetter durch Zeit, Wärme und Sonnenschein wieder entspannt, kann man die besonnten Bereiche (SW-S-SO) viel eher vom Triebschneeproblem ausschließen als die Schattenhänge.
Gleitschneeproblem
Beim Gleitschneeproblem ist die Zuordenbarkeit auch nur grob möglich. Nach oben hin gibt es tendenziell weniger Gleitschnee. Zum einen weil der Untergrund rauer wird, glatte Grasmatten werden weniger und blockiges Felsgelände mehr. Zum anderen weil es nach oben hin kälter wird, damit weniger Schnee schmilzt, es weniger Regen gibt und sich damit weniger Feuchtigkeit zwischen Schneedecke und Boden befindet. Dadurch wird das Gleitschneeproblem mit zunehmender Höhe auch seltener, aber der Übergang ist auch fließend und nicht scharf. Bezüglich Exposition beim Gleitschnee gilt dasselbe. Hauptsächlich sind besonnte Bereiche betroffen (mehr Schmelze, mehr einsickerndes Wasser Richtung Boden), aber Gleitschnee gibt es genau so in schattigen Hängen. Die Expositionsrosette in den Lageberichten ist eine Angabe der „hauptsächlich betroffenen Bereiche“ und nicht der ausschließlich betroffenen Bereiche – wie beim Triebschneeproblem.
Nassschneeproblem
Beim Nassschneeproblem funktioniert die Abgrenzung per Höhe und Exposition schon wesentlich genauer. Wenn es regnet, sind alle Expositionen unterhalb der Schneefallgrenze vom Nassschneeproblem betroffen. Wenn hohe Temperaturen der Hauptgrund für das Nassschneeproblem sind, spielt die Nullgradgrenze eine wichtige Rolle. Und wenn es die Strahlung (meist in Kombination mit der Lufttemperatur) ist, die den Hauptgrund für das Nassschneeproblem bildet, dann sind es Höhen und Expositionen anhand derer man das Problem abgrenzen kann.
Vor allem in Hinblick auf die Kombination der Expositionen mit der Tageszeit bei der klassischen Frühjahrssituation. Die Strahlung ist sehr intensiv. Am Morgen sind zuerst Osthänge betroffen, dann Südhänge, erst zu Mittag oder am Nachmittag Westhänge. Nordhänge meist überhaupt nicht oder erst viel später im Frühjahr wenn es noch wärmer wird und die Sonne noch höher steht. Im Grunde kann man sich die Problembereiche bei der Frühjahrs-Nassschneesituation wie eine Wendeltreppe von tief gelegenen Osthängen bis hoch gelegenen Nordhängen vorstellen. Je tiefer und früher besonnt (Osthänge) im Laufe eines Tages, desto früher problematisch. Je höher und später (oder gar nicht, Nordhänge) besonnt, desto später problematisch.
Dann spielt noch die Stabilität der Altschneedecke beim Nassschneeproblem eine zentrale Rolle: Wo gibt es Altschneeschwachschichten, die im trockenen Zustand wieder sehr gut miteinander verbunden sind, aber bei Eindringen von Feuchtigkeit und damit verbundene Schwächung wieder zum Problem werden könnten?
Damit kann der Lagebericht die betroffenen Bereiche des Nassschneeproblems meist schon recht genau zuordnen, die Abgrenzungen sind viel, viel schärfer nach Höhe und Exposition. Vor allem in Kombination mit der Tageszeit und dem Aufbau der Altschneedecke.
Diese Altschneeschwachschichten stammen dann immer von einem früheren, eben vor einer Durchnässung der Schneedecke nicht mehr relevanten, Altschneeproblem. Und damit sind wir beim letzten, aber am besten eingrenzbaren Lawinenproblem im Lawinenlagebericht.
Altschneeproblem
Durch die in der Regel relativ langsame Ausprägung des Altschneeproblems und die relativ lange Relevanz dieser Art von Schwachschichten (mehrere Tage bis viele Wochen), hat man die Zeit mit dutzenden von Schneeprofilen in einer Region in verschiedenen Höhenlagen und Expositionen die Verbreitung der Schwachschichten eben relativ genau an gewisse Höhenlagen oder Höhenbänder und Expositionen zuzuordnen. Dann verbindet man die Schneeprofile noch mit Prozessdenken und dem Wetterverlauf und bekommt das schärfste Bild aller Lawinenprobleme in der Abgrenzung nach Höhenlage und Expositionen!
Es ist keine Seltenheit, dass man einzelne Schwachschichten in der Altschneedecke auf eine Genauigkeit von unter +/- 100 Höhenmeter in den Lageberichten zuordnen kann. Zusätzlich bilden sich diese aufbauend umgewandelten Schwachschichten fast immer nur in gewissen Expositionen – also meist nur in Schattenhängen oder nur in Sonnenhängen. Oft ist es so, dass es die Schwachschicht in den anderen Höhen und Hangausrichtungen dann schlicht und einfach nicht einmal gibt.
Hänge die sich in dieser Höhenlage befinden und in diese Richtung schauen, sind dann einfach immer vom Altschneeproblem betroffen. Die Symbole für Höhe und Exposition beim Altschneeproblem ist kein grober Richtwert wie beim Triebschnee-, Neuschnee- oder Gleitschneeproblem, sondern sie sind fast immer eine hoch-explizite Angabe.
Von Seiten der Lawinenwarndienste ist die Eingrenzung des Altschneeproblems zwar sehr oft sehr genau möglich, aber eben nicht immer. Es gibt Situationen, da tut sich der beste Lawinenwarner der Welt schwer die Verbreitung und vor allem auch die Relevanz einer oder mehrerer Altschneeschwachschichten in Kombination nach Höhe und Expositionen anzugeben.
Der Tiroler Lawinenwarndienst spricht in seinem letzten Blogeintrag zum Beispiel von einem „diffusen Altschneeproblem“ in gewissen Gebieten Nordtirols. Das Wort „diffus“ bezieht sich auf die Verbreitung der problematischen Bereiche. Sie sind schwer eingrenzbar und bei weitem nicht so scharf wie bei den meisten anderen Altschneeproblemen.
Unterschied zwischen Eingrenzbarkeit im Lawinenreport und Eingrenzbarkeit im Einzelhang
Die Lawinenprobleme weisen damit einen Verlauf in ihrer „lokalen Eingrenzbarkeit“ über den Lawinenreport. Der Verlauf von „lokal schlecht eingrenzbar“ bis „lokal meist sehr gut eingrenzbar“ lautet: Neuschneeproblem – Triebschneeproblem – Gleitschneeproblem – Nassschneeproblem – Altschneeproblem.
Es verhält sich fast exakt umgekehrt zum Erkennen und Eingrenzen der Lawinenprobleme über den Anwender im Einzelhang vor Ort. Denn Neuschnee- und meist auch Triebschneeprobleme kann man über seine Sinne (Sehen, Fühlen) direkt vor Ort gut erkennen und einschätzen. Gleitschneeproblembereiche kann man über die geöffneten Mäuler auch gut erkennen, aber kaum einschätzen wann der Bereich unterhalb des Mauls als Gleitschneelawine abgehen wird. Außerdem kann auch mal eine Gleitschneelawine ohne vorher gebildetes Fischmaul abgehen, damit ist sie dann de facto nicht vorher erkennbar und einschätzbar. Das Nassschneeproblem kann man auch sehr gut erkennen, aber meist schlecht einschätzen ob und wann tatsächlich Schneebrettlawinen abgehen oder auslösbar sind. Und das Altschneeproblem kann man in den allermeisten Fällen nicht mit seinen Sinnen wahrnehmen da es in der Schneedecke versteckt liegt, nicht an der Oberfläche erkennbar ist und in den meisten Fällen keine Warnzeichen gibt.
Die Dimmen/Hervorheben Funktion im Hinblick auf den Altschnee
Bestenfalls sucht man sich aber gleich ein Gebiet für seine Tour aus, das erst gar nicht von relevanten Schwachschichten in der Altschneedecke betroffen ist. Dafür eignet sich perfekt die Hervorheben/Dimmen Funktion verschiedener Lawinenprobleme im neuen Euregio-Lawinenreport von Tirol, Südtirol und Trentino. Man kann damit Warnregionen mit gewissen Lawinenproblemen hervorheben oder ausblenden. Vor allem sehr interessant in Hinblick auf das Altschneeproblem und einen ersten groben Filter für das angesteuerte Gebiet zuhause.