Streckenflug über die Wildspitzregion Mit erschreckendem Gletscherzustand

Streckenflug über die Wildspitzregion Mit erschreckendem Gletscherzustand

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Noch ein Streckenflug von Thomas Paschinger vom 18. September (!!) mit Start Gaislachkogel – Schwarze Schneid – Weißkamm – Überflug Wildspitze – Brunnenkogel – Braunschweiger Hütte – Hohe Geige – Sölden

Wieder eine tolle Dokumentation aus der Luft über den Gletscherzustand unserer Gegend. Nordseitig sind die Gletscher in den Ötztaler Alpen kurz vor dem Ende der Ablationsperiode 2020 bis teilweise 3300m schneefrei!

Ich habe in der Schule Ende der 90er-Jahre noch gelernt, dass die dauerhafte Schneegrenze, also die Grenze zwischen Nährgebiet und Zehrgebiet eines Gletschers, bei uns bei 2800m liegt. Auf den Fotos aus den 1980ern meines Vaters waren die Gletscher oberhalb dieser Grenze auch nicht schneefrei.

Auch im Sellrain schaut es heuer wieder ähnlich aus: Ende September sind alle Gletscher praktisch komplett schneefrei. Schließlich sind die Berge im Sellrain nicht höher als 3300m…

Es gibt fast keine Bereiche mehr wo der Schnee mehrere Sommer liegen bleibt und zu Eis werden kann – wo sich also neues Eis bilden kann. Es gibt nur noch Zehrgebiete, keine Nährgebiete mehr. Die Gletscher werden nicht nur kleiner – mit Aussicht einer Stabilisierung in einem kleineren Zustand.  Es dauert nur ein paar Jahrzehnte bis sich die Gletschergröße – in diesem Fall das vollständige Verschwinden – an das aktuelle Klima angepasst hat. Unser derzeitiges Klima passt nicht zur Existenz eines Gletschers im Sellrain und fast in den gesamten Stubaier Alpen. Sie sind nur mehr Relikte aus einer Zeit in der es lebendige Gletscher in Tirol unterhalb von 3300m gegeben hat. Aus einer Zeit in der es vor allem kalte und schneereiche Sommer gab.

Einzelne, etwas bessere Sommer tragen ebenfalls nicht mehr zu einer Eis-Neubildung bei. „Gute“ Gletscherjahre mit einer positiven Massenbilanz – das heißt, dass mehr Schnee dazukommt und auch den Sommer überdauert als Eis wegschmilzt – gibt es fast gar nicht mehr.

Wenn doch noch einmal kalte und schneereiche Sommer daherkommen (wie zuletzt 2014), beschwert sich 1.) jeder über das grausige, regenreiche, kalte Sauwetter – übrigens unser normalen Klimazustand vor 50 Jahren aka „neun Monate Winter und drei Monate kalt“ und 2.) verlangsamt so ein Sommer den Rückgang nur. Denn in den Sommern drauf schmilzt der ganze Schnee der liegen bleiben konnte, wieder ab. Es bildet sich kein neues Eis mehr, denn dazu müsste der Schnee über viele Jahre den Sommer überdauern.

Dazu ein aktuelles Beispiel vom Lüsener Ferner. Das Satellitenbild stammt vom 18.09.2020. Es zeigt ziemlich genau den maximalen Ausaperungszustand des Gletschers im Haushaltsjahr 2020 vor dem Ende der Ablationsperiode mit dem Schneefall am 25.09.2020. Damit der Gletscher in etwa seine Größe behält, darf er über Jahrzehnte niemals links (= oberhalb) der roten Linie schneefrei werden. Nicht im Sommer, nicht im Herbst. Das wäre dann das Nährgebiet das immer von Schnee bedeckt bleibt, wo der Schnee vom Vorjahr dann vom nächsten Winter überschneit wird und sich nach und nach verdichtet und sich zu Eis umwandelt. Rechts der roten Linie wäre das Zehrgebiet, wo der Schnee tatsächlich bis zum Herbst abschmelzen kann und in weiterer Folge auch Eis abschmilzt. Aber das Nährgebiet ist größer und kann gleich viel Eis nachliefern, wie im Zehrgebiet jeden Sommer abschmilzt. Wenn man sich aber das aktuelle Verhältnis zwischen Nährgebiet und Zehrgebiet anschaut, wird einem klar, dass die Gletscher ein Relikt sind das zu unserer derzeitigen Situation nicht mehr passt. Dafür haben wir einen Vorteil im Gegensatz zu unseren Ahnen vor einigen Jahrzehnten: Wir sehen das Eis im Spätsommer immer ohne Schneebedeckung. Damit sieht man auch die Spalten… Und einen Vorteil gegenüber den Menschen die nach dem Jahr 2100 im Sellrain hochalpin unterwegs sind: Wir haben die Gletscher noch gesehen.

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