Seit zehn Jahren startet meine Skitourensaison abseits eines Gletscherskigebiets nach dem ersten Starkschneefall im September oder Oktober in der Axamer Lizum oder in Kühtai. Hin und wieder kommt ausreichend Schnee für die ersten Schwünge erst im November. Heuer war es Ende September wieder soweit. Zeit für eine nüchterne Betrachtung von Skitouren im Herbst.
2020 – einer der stärksten Septemberschneefälle der letzten Jahre
In der Axamer Lizum und in Kühtai gab es am 25.09. trotz des Höhenunterschieds von etwa 500m jeweils ca. 35 cm Neuschnee am Ausgangspunkt. Oben wehte stürmischer Wind aus NW der den Schnee teils schon stark verdichtete – perfekt für Skitouren ohne gesetzte Unterlage.
Samstag, 26.09. Skitour Hoadl
Trotz Nebel und null Bodensicht waren ca. 100 – 200 Personen über den Tag verteilt oben. Ich habe bei der gesamten Abfahrt nie den Untergrund erwischt.
Sonntag, 27.09. Skitour Drei-Seen
Ein top Tourentag mit Sonnenschein nach klarer Nacht. Während man sich in der Axamer Lizum gegenseitig über die Füße steigt bzw. über den Ski fährt, habe ich in Kühtai ca. 40 Leute gezählt. Das ist zwar auch für Kühtai außergewöhnlich viel, aber trotzdem verständlich: In der Lizum weisen die Pisten grasigen Untergrund mit kleinen Steinen auf. In Kühtai besteht der Untergrund aus größeren Steinen und vielen Alpenrosen – da erwischt man schon wesentlich öfter einen Kratzer im Ski. Trotzdem: Einen Hang mit genug Schnee ohne Untergrundkontakt und super Schwüngen gab es. Der Rest war für Steinski ok. Bis jetzt die beste Septemberskitour für mich…
Aber es gibt immer jemanden, der noch verrückter ist als man selbst…
Normalerweise schmilzt der Schnee um diese Jahreszeit kurz nach dem Schneefall soweit ab, dass zu wenig für weitere Skitouren übrig bleibt. Diesmal blieb es über mehrere Tage erstaunlich kühl. Der Schnee konnte sich vor allem am 26.09. (keine Sonne, Nebel und kalt) und am 27.09. (Sonnenschein pur, aber trotzdem kühl und viel wichtiger: sehr trockene Luft) setzen anstatt abzuschmelzen. Gesetzter Schnee mit stark erhöhter Dichte wird im Verhältnis zu Neuschnee gegenüber dem Abschmelzen viel „widerstandsfähiger“.
Deswegen schmilzt eine 30 cm mächtige „alte“ Schneedecke im Frühjahr bei wesentlich höheren Temperaturen und viel intensiverer Strahlung langsamer ab als 30 cm Neuschnee bei schwächerer Strahlung und kälteren Bedingungen im September.
Dadurch konnte man am Abend des 27.09. immer noch Skitouren unternehmen – allerdings im Bruchharsch. Auch am 28.09. und 29.09. waren Skitouren mit gutmütigem Untergrund noch möglich. Also bis zu vier Tage nach dem Schneefall – das gibt es im September selten. Der letzte Schnee auf unserem Hausdach schmolz erst am 30.09. ab.
Damit wirft sich wieder einmal die Frage auf: Wie oft kann man eigentlich im Herbst abseits von Gletschern Skitouren unternehmen?
Die letzten zehn Jahre Herbstskitouren
Der früheste, erste Skitour ohne Gletscher war am 10. September 2019 in Kühtai möglich. Hier der Blogartikel dazu: Wissen ist Macht. Der späteste war am 15. November 2018. Der Durchschnitt der letzten zehn Jahre war der 15. Oktober.
„Erste Skitour der Saison abseits der Gletscherskigebiete“ heißt aber nicht, dass die Skitourensaison von da an durchgehend anhält. Meistens schmilzt der Schnee wieder und Bergsteigen mit Sommerausrüstung geht weiter. Die „echte“ Skitourensaison ohne Unterbrechungen startet bei uns im Schnitt von 2009 bis 2019 immer Mitte November.
Der früheste Start der „Nonstop-Saison“ war am 24. Oktober 2014, der späteste Start am 08. Dezember 2018.
Zusammengefasste Daten der letzten zehn Jahre (alles ohne Skitouren auf Gletschern):
Skitouren nach Starkschneefall mit anschließendem Abschmelzen des Schnees
Früheste erste Skitour: 10.09.2019 (Im September auch am 19.09.2011 & 26.09.2020)
Späteste erste Skitour: 15.11.2018
Erste Skitour durchschnittlich am 15.10.
Ununterbrochene Saison mit Verbleib einer durchgehenden Winterschneedecke
Frühester Start: 24.10.2014 (Ich war damals im Oktober bereits am Rietzer Grieskogel auf einem tragenden Harschdeckel mit Firn.)
Spätester Start: 08.12.2018
Durchschnittlicher Start: 15.11.
365 Tage im Jahr Skitouren/Skifahren – auch noch möglich auf Gletschern im Sommer
Wenn es im Sommer nicht schneien, oft sogar viel schneien würde, gäbe es bei uns keine Gletscher. Logisch, oder?
Obwohl die Klimaerwärmung weitergeht und vor allem die Schneebedeckung der Gletscher im Sommer in Tirol und den Ostalpen fast vollständig abschmilzt (siehe Eintrag hier), ist es bei uns immer noch möglich 365 Tage im Jahr auf Ski unterwegs zu sei: Am Hintertuxer Gletscher im Zillertal (einziges Ganzjahresskigebiet der Ostalpen) und am Stilfserjoch in Südtirol (reines Sommerskigebiet weil im Winter die Passstraße schließt). Aber auch der Mölltaler Gletscher beschneit fast das ganze Jahr über sobald es kalt und trocken genug ist. Damit ist die Sommerpause im Mölltal meist nur wenige Wochen lang…
2019 bin ich beispielsweise in jedem Kalendermonat auf Skitour in Tirol unterwegs gewesen. Und ich kenne jemanden, der seit vielen Jahren kein Monat des Jahres für eine Skitour ausgelassen hat und sich dabei nicht über Nord- und Südtirol hinausbewegt.
In den 1970ern und 1980ern mit dem Aufkommen der Gletscherskigebiete war Skifahren im Sommer übrigens auch bei uns stark in Mode! Die Gletscher blieben damals über den ganzen Sommer noch über große Teile schneebedeckt. Dementsprechend liefen alle Gletscherskigebiete auch im Juli und August durch.
Schlussfolgerung
Starke Sommerschneefälle und vor allem Herbstschneefälle sind bei uns etwas ganz normales.
Ich wundere mich immer wieder, wenn dies in Medien aber auch in sozialen Netzwerken als extrem außergewöhnlich dargestellt wird. Oder wenn Skifahren geistig an die Kalendermonate Dezember bis April gebunden ist.
Skifahren und Skitouren im Sommer und im Frühherbst gehören bei uns auch zur Normalität. Das heißt nicht, dass es dadurch jeden einzelnen Sommer massiv weit hinunter schneien muss. Es ist eine unregelmäßige Regelmäßigkeit – die zwar durch die Erwärmung seltener geworden ist, aber weiterhin stattfindet.
Dazu eine Anekdote aus den frühen 1980ern von meinem Vater: Es war Anfang Juli, die normale Skitourensaison war schon beendet. Es folgt ein massiver Schneefall bis weit in die Täler hinunter. Relativ tiefe Temperaturen über zwei Tage. Am ersten Tag nach dem Schneefall: Rietzer Grieskogel vom Parkplatz weg. Der Schnee hatte einen tragenden Deckel da er durch die diffuse Strahlung (Juli!) schon feucht wurde. In der Abfahrt super Firn. Tag zwei nach Schneefall: Wetterkreuz, wieder guter Firn. Tag 3: Erwärmung auf normales Sommerniveau, Schnee sumpfig, Skitour sinnlos. Der Schnee schmolz kurz danach wieder ab. Der Sommer ging weiter.
Oder von 1974: Am 25. September hat es auf den Bergen Nordtirols und in höheren Tälern nachhaltig zugeschneit! Im Oktober und November blieb es meist kalt und schneite immer wieder weit hinunter. Ein Bauer in St. Sigmund hatte noch die letzten Stangger (Heumännchen) vom zweiten Schnitt stehen, er hoffte auf eine Wetterbesserung. Nach zwei Wochen unter der Schneedecke brach er die Stangger ab und trocknete das Heu in der Scheune am Boden fertig. Oberhalb von 1300m blieb der Schnee liegen, die bleibende Winterschneedecke bildete sich also ab Ende September! Anfang Oktober öffneten Skigebiete mit Talstationen um 1400m im Allgäu den durchgehenden Skibetrieb der Wintersaison.
Ausblick
Mit dem besseren Material, besserer Technologie wie Webcams, Wetterstationen, dem gesteigerten Wohlstand und immer mehr Freizeit trifft man immer mehr Leute beim Skitourengehen abseits der klassischen Ski-Kalendermonate.
Mit der bereits stattgefundenen Erwärmung wurden Sommerschneefälle seltener und aller Voraussicht nach bleiben sie in einigen Jahrzehnten fast komplett aus. Zumindest aus derzeitiger Sicht. Aber noch geht es. Ich und andere Verrückte scheuen nicht davor, dann Skitouren zu gehen wenn es die Verhältnisse zulassen – und nicht der Kalender.
Danke für diesen tollen Blog. War sehr interessant zu lesen.