15.12.2020 | SchneeReport Kühtai-Sellraintal | #2 20/21 Von null auf hundert

15.12.2020 | SchneeReport Kühtai-Sellraintal | #2 20/21 Von null auf hundert

Lesezeit: 30 min

Nach dem Jahrhundert-Neuschnee vom Nikolauswochenende kann man alle Skitouren in der Region Kühtai-Sellraintal von der Schneemenge her durchführen. In schattigen Bereichen lauern allerdings die jetzt tief verborgenen Schwachschichten. Zudem wird die Schneequalität durch die prognostizierte Hochdruckphase vor allem sonnseitig zunehmend schlechter.

Tipp: Es gibt anfangs eine lange Analyse des Starkschneefalls. Wem dies zu langweilig ist und wer nur Skitourentipps und nette Bildln anschauen will, der kann am Inhaltsverzeichnis direkt zu den jeweiligen Kapitel springen. Wer den ganzen Artikel durchliest, bekommt von mir einen Gutschein für ein Essen bei uns im Gasthaus – da brauchts Motivation und Durchhaltevermögen dafür.

Daten und Fakten zum zweitägigen Extremschneefall

Die Ausgangslage

Bis zum 04.12. gab es nur oberhalb von etwa 2400m, schattseitig, eine relevante, flächige Schneedecke. Sonnseitig war es bis in hochalpine Lagen aper (bis auf kleine Schneefälle Ende November und Anfang Dezember). Oberhalb von etwa 2500m lag schattseitig durchschnittlich viel Schnee für die Jahreszeit. Mehr dazu im SchneeReport #1

Wo eine Schneedecke vorhanden war, entwickelten sich durch die geringe Schneehöhe und das wochenlange, kaum unterbrochene Hochdruckwetter im November markante Schwachschichten.

Gries mit Blick zum Fernerkogel am 24.11.
Gries am 24.11.
Zirmbachalm am 25.11.
Kühtai am 25.11.

Der Schneefall

Die Prognosen

In der ersten Dezembertagen zeigten die Wettermodelle für die Regionen südlich des Alpenhauptkammes das zu erwartende Ereignis mit teils 400 Millimetern Niederschlag in drei Tagen. Für die nördlichen Stubaier Alpen wurden immerhin noch um die 50cm Neuschnee prognostiziert. Während die Vorhersagen für die Hauptniederschlagsgebiete sehr gut gepasst haben, haben sie den Niederschlag bei uns massiv unterschätzt.

Die Werte

130mm Niederschlag vom 04.12. spätabends bis zum 07.12. frühmorgens bei der automatischen Station in Gries im Sellrain. Vor allem die Niederschlagsintensität vom Abend des 05.12. bis 06.12. morgens sind beeindruckend. Quelle: Hydro Online 

Insgesamt fielen im Sellrain ca. 125cm Neuschnee vom Freitag, 04.12., spätabends bis zum Montag, 07.12., morgens. Die Schneefallgrenze lag zeitweise in tiefen Lagen, eine ganze Weile war sie allerdings bei ca. 1450m. Darum sind die vollen Mengen Neuschnee erst oberhalb von ca. 1500m anzutreffen. Bei mir vorm Haus hats nur ein paar Minuten kurz genieselt – sonst immer geschneit. In Ost- und Südtirol aber auch im hinteren Ötztal hat es teils stundenlang bis über 2000m geregnet und es gab eingelagerte Wintergewitter.

Während des gesamten Niederschlags gab es einen extrem starke Abnahme der Niederschlagsmenge von Südost nach Nordwest. Während in Praxmar 135cm Schnee in den knapp über zwei Tagen gefallen sind, waren es in Kühtai gerade nochmal 83cm und in Ochsengarten etwa 70cm. In St. Sigmund waren es immerhin auch 125cm.

Mit der stärkeren Setzung des Neuschnees in Praxmar durch den höheren Druck der Auflast und die damit geringere Gesamtschneehöhe im Verhältnis zur Neuschneemenge, dürfte es in etwa eine Halbierung der Niederschlagsmenge von Praxmar bis Ochsengarten gegeben haben. Auf einer Luftlinie von etwa 15km!

Bei der 72h-Neuschneesumme am SNOWGRID der ZAMG (hier verfügbar unter „Parameterauswahl“) sieht man sehr schön den Gradienten von Südost nach Nordwest. Besonders stark entlang der grünen Linie von der Franz-Senn-Hütte bis nach Ochsengarten bei einer 25km Luftlinie. Noch stärker ist der Gradient vom Gurgler Kamm zum hinteren Kaunertal. Leider gibt es bei mehr als 150cm Neuschnee keine Farbabstufungen mehr.

Extremschneefall im Sellrain bei Südstau?

Bei den meisten Südstaulagen gibt es im Sellrain vielleicht einmal 30cm Neuschnee in Praxmar und ein bisschen Staubzucker in Kühtai – wenn überhaupt. Dieses Mal fiel in Praxmar nur geringfügig weniger Niederschlag als in Obernberg, im Gschnitztal oder in Obergurgl. Die südöstlichen Sellrainer Berge waren einer der Nordtiroler Hotspots bei diesem Ereignis!

Die Tiwag-Station bei der Wasserfassung bei der benachbarten Franz-Senn-Hütte hat 266mm Niederschlag gemessen. Beim Vergleich von Ochsengarten bis zur Franz-Senn-Hütte liegen wir bei 25km Luftlinie bei einer Niederschlagsdifferenz von etwa 190 Litern auf dem Quadratmeter!

Ich bin kein Meteorologe – aber der primär ausschlaggebende Punkt war sicher, dass es eine Südostströmung war und keine Südströmung. Bei feuchten Luftmassen aus NO oder SO (oder alle heiligen Zeiten mal bei einer reinen Ostströmung die auch feuchte Luft im Gepäck hat) bekommen die östlichen Sellrainer immer markant mehr Schnee ab als bei reinen Nord- oder Süd-Staulagen. Dafür gibt es bei W-/NW-Lagen immer einen Gradienten in die andere Richtung – von Kühtai her gesehen.

Vergleich mit alten Messreihen

In Gries gibt es seit 1908 eine Messreihe. Da dieses Mal in Gries aber viel Niederschlag als Regen gefallen ist, muss man die Werte bei diesem Ereignis mit St. Sigmund vergleichen. In Gries ist seitdem nur einmal mehr Neuschnee innerhalb von 24h gemessen worden: Am 10.05.1910 mit 113cm. Sonst noch nie!

Den inzwischen dritten Platz in der 110-jährigen Messgeschichte des Sellraintales belegt der 11.10.2013 mit 75cm in St. Sigmund innerhalb von 24 Stunden.

In diesem Zuge ein großes Danke an Alexander Radlherr, Meteorologe an der ZAMG in Innsbruck, für die Bereitstellung der historischen Daten.

Die Einordnung

Diese Neuschneemenge in so kurzer Zeit liegt bei einer statistischen Wiederkehrdauer in den nördlichen Stubaiern von mindestens 100 Jahren. Anders ausgedrückt: Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit war das ein Once-in-a-Lifetime-Event. Außer die Zunahme der Extrem-Wettereignisse durch die Klimaerwärmung kommt tatsächlich so stark wie teilweise gemutmaßt wird.

Natürlich lag gesamtheitlich gesehen mehr Schnee im Winter 2020, 2019 und vor allem 2018. Und es gab auch schon oft mehr Neuschnee in fünf, sechs Tagen oder einer Woche. Aber nicht in knapp über zwei Tagen.

Die Schneefallintensität entsprach stundenlang einem Starkregenereignis im Sommer. Das gibt es im Winter abseits der Staulagen (an den Alpenrändern) sonst nicht – vor allem nicht bei uns im inneralpinen Kerngebiet. In Kühtai fällt in einem Winter durchschnittlich 5,50m Neuschnee – in St. Sigmund sind bei diesem Ereignis in zwei Tagen 1,3m vom Himmel gefallen…

Screenshot INCA-Analyse des Niederschlags während der stärksten Intensität am Samstagabend: 10mm Niederschlag bzw. 10cm Schnee pro Stunde! Die Nordtiroler Hotspots sind ein Dreieck zwischen Sellrain – Brenner – Weißkugel sowie die südlichen Zillertaler.

Vergleich mit November 2019

Die ambitionierten Skitourengeher können sich noch an den November letzter Saison erinnern. Es gab auch gewaltige Neuschneemengen bei einer Südwetterlage im Sellrain. Ebenfalls mit einem starken Gradienten von Südost nach Nordwest. Hier der SchneeReport vom 18.11.2019 mit genauer Analyse.

Aber damals waren es „nur“ knapp 100mm Niederschlag in St. Sigmund. Und das aufgeteilt auf fünf Tage – also deutlich weniger Niederschlag in mehr als dem doppelt so langen Zeitfenster.

Niederschlagsmessung in St. Sigmund von Mitte November 2019. Auch sehr viel Schnee in sehr kurzer Zeit. Aber immer mit jeweils ein bis zwei Tagen Pause zwischen weniger intensiven Schneefällen. Quelle: Hydro Online 

Vergleich mit Süd- und Osttirol

Natürlich sinnlos. Dort hats teils die knapp vierfachen Mengen an Niederschlag und Neuschnee gegeben.

Billionen Liter Wasser

Größenordnungsmäßig haben mein Vater und ich uns ausgerechnet, wie viel Wasser dabei im gesamten Bereich des Niederschlags vom Himmel gefallen ist:

Wenn man von einem Bereich von 15.000 Quadratkilometer ausgeht und im Durchschnitt 100l/m² Niederschlag über die paar Tage rechnet, kommt man auf 1,5 Billionen Liter Wasser – die jetzt in weiten Teilen als Schnee am Boden liegen. Die Zahlen sind aber eher konservativ geschätzt. Das Niederschlagsgebiet dürfte um einiges größer gewesen sein und auch die durchschnittliche Niederschlagsmenge könnte höher sein.

Eindrücke des Jahrhundert-Ereignisses

Die Neuschneemassen in St. Sigmund im Sellrain von Freitagabend bis Sonntagfrüh! (04.12. – 06.12.). Am Abend des 06.12. sind nochmal 25cm dazugekommen…

Suchbild: Bevor wir unseren Pickup ausgegraben haben.

Frau Holle gibt Vollgas

Die stärkste Niederschlagsintensität herrschte am Samstagabend, 05.12. Während der zwei Stunden meiner Stallarbeit hat es etwa 25cm geschneit.

Wer nicht regelmäßig rausgeht und schaufelt, bekommt den Schnee gar nicht mehr zur Seite.

Infrastruktur

In St. Sigmund gab es nur etwa einen Tag keinen Strom. Die Straßenräumung kam zum Erliegen und die Hauptstraße verschwand in kürzester Zeit. Aber das war so oder so egal, da die Straßen wegen Lawinengefahr ohnehin gesperrt werden mussten und man aus der eigenen Einfahrt aufgrund der Schneehöhe mit dem PKW ohnehin nicht mehr rausfahren konnte.

Eingeschneite Hauptstraße in St. Sigmund am 07.12. – Die Spuren stammen von der Jägerschaft die mit Tourenski ausgerückt ist um die Wildtiere zu versorgen.
Eingeschneite Hauptstraße in St. Sigmund am 07.12.
Die Jägerschaft und teilweise auch ich waren mehrere Tage im Einsatz (zum intensivsten Tag hier ein Bericht), um Rehe die im hohen Schnee feststeckten, zu befreien und zu den Fütterungen zu bringen. Auch ein Hirschkalb kam nicht mehr aus dem Bach raus weil die Schneewände daneben zu hoch waren.

Schneebruch

In den Wäldern des Sellraintales hat es wieder viel Holz geworfen. Darum war natürlich auch der Strom weg.

Am 08.12. wurden per Heli die gesamten Stromleitungen und angrenzenden Bäume in stundenlanger Arbeit mit dem Downwash vom Schnee befreit.

Eine Bell im Einsatz in St. Sigmund am 08.12. Foto: Josef Ruetz
Sehr interessant bei diesem Ereignis: Obwohl die Lärchen natürlich ihre Nadeln bereits verloren haben, waren verhältnismäßig viele Lärchen betroffen.

Räumen, Fräsen, Räumen

Jeder war durchgehend mit der Schneeräumung beschäftigt. Sobald man am Grundstücksende fertig war, konnte man wieder von vorne anfangen. Am Montag, 07.12. beginnt schließlich das Freifräsen der Hauptstraße und der Gemeindewege. Man kommt trotz schweren Gerätes in den Schneemassen nur im Schneeckentempo voran. Die Meinung der Alten ist einhellig: Es gab schon oft mehr Schnee, aber noch niemals in diesem kurzen Zeitraum!

Während der stärksten Niederschlagsintensität am Samstagabend von mir ausgelöster Bruch in der Schneedecke beim Schneeschaufeln. Wohl war mir direkt vor der Haustür jedenfalls nicht mehr.

Foto vom 06.12.. Vor dem 04.12. lag hier kein Schnee…

Am 10.12. sind die Räumarbeiten immer noch nicht beendet.

Am 11.12. sind unsere Gemeindearbeiter auchnoch mit der Fräse unterwegs, um das Dorf, die Gehsteige und die großen Parkplätze in Lüsens, Praxmar und St. Sigmund wieder fit für den nächsten Schneefall zu machen. Foto: Skitouren Tirol

Das Winterwonderland am ersten Schönwettertag, dem 10.12.

Tief verschneites St. Sigmund am 10.12.
Tief verschneites St. Sigmund am 10.12.
Winterwonderland am ersten strahlend sonnigen Tag

Gleitschneelawinen gefährden den Siedlungsraum erst zeitverzögert

Da heuer durch das wochenlange Schönwetter im November der Boden wieder einmal frieren konnte, kamen auch die Gleitschneelawinen nicht sofort daher. Denn für eine Gleitschneelawine benötigt es neben einer möglichst mächtigen, homogenen, hinsichtlich Schneebrettlawinen meist stabilen Schneedecke auch Wasser durch Regen beziehungsweise geschmolzenen Schnee an der Grenze zwischen Bodenoberfläche und Schneedeckenbasis.

Da der Boden aber zuerst keine Wärme an die Schneedecke abgeben konnte und damit die unterste Schneeschicht nicht zum Schmelzen bringen konnte, gab es während des Niederschlags kaum Gleitschneelawinen. Die meisten sind erst zeitverzögert mit dem Auftauen des Bodens oder einsetzendem Regen dahergekommen.

Allgemein: So große Gleitschneemäuler und -lawinen im Siedlungsbereich habe ich bei uns im Tal noch nie gesehen.

Gleitschneeerscheinung in Lüsens auf Hausdach
Gleitschneelawinen in Gries
Gewaltiges Gleitschneemaul für Stubaier-Alpen-Verhältnisse oberhalb von Haggen

Gämsen nutzen in Praxmar die einzige Möglichkeit für aperen Boden und somit ein bisschen Äsung in einem Gleitschneeriss. Foto: David Schöpf

Gesamtschneemenge

In Kühtai finden wir dieser Tage mit ca. 60cm eine leicht überdurchschnittliche Schneehöhe für die Jahreszeit. In den südöstlichen Sellrainern ist die Schneehöhe hingegen immer noch deutlich überdurchschnittlich. Quelle: Hydro Online 

Derart extreme Neuschneemengen setzen sich rapide. Während ich am Morgen des 07.12. noch 125cm im Garten gemessen habe, waren es am selben Abend nur mehr 94cm.

Trotz zwischenzeitlich wieder etwas an Neuschnee, liegt genau eine Woche nach dem Extremereignis nur mehr 69cm Schnee im Garten. Die Dichte von Neuschnee beträgt in etwa 100kg/m³, die Dichte einer gesetzten Altschneedecke liegt bei 300 – 400kg/m³.

Das heißt, von den 125cm Neuschnee bleiben mit weiteren Wochen der Setzung schlussendlich nur etwa 40cm Schnee übrig – ohne etwaige Schmelze!

Laut SNOWGRID der ZAMG (hier verfügbar unter „Parameterauswahl“) liegen im Sellrain nun 50cm – 75cm Schnee im Bereich der Feldringer Böden und 1m – 1,5m Schnee im Bereich der Lampsenspitze. Am Lüsener Ferner durch die größere Neuschneemenge in Kombi mit dem schneereichen September und Oktober bis zu 2,50m.

Schneehöhe laut SNOWGRID am 14.12.2020 in Nordtirol, Südtirol, Osttirol. Region Kühtai-Sellraintal im roten Kreis.

 

Altschneeproblem

Lawinenaktivität durch den Extremschneefall

Nach einem derart starken Schneefall muss es Schneebrettlawinen mit Bruch in der vorher teils extrem locker aufgebauten Altschneedecke gegeben haben. Denn eine so große Auflast in so kurzer Zeit können die Schwachschichten unmöglich aushalten. An den ersten Tagen nach dem Schneefall konnte ich aber vom Tal aus nirgends Lawinenabgänge ausfindig machen. Nur unsere Lawinenstriche neben der Straße sind – eher klein – abgegangen.

Bei den späteren Skitouren konnte man auch den Grund spüren: Die Schwachschichten waren derart empfindlich, dass die meisten Schneebretter ganz am Anfang des Niederschlags abgegangen sein mussten. Dann hat es auf den Bergen noch ein bis teils zwei Meter draufgeschneit und schwupp – die Anrisse waren nicht einmal mehr annähernd erkennbar. Dafür spürte man an den ersten Tagen bei Skitouren teilweise den knolligen, kompakteren Untergrund der Lawinenablagerungen.

Der Schneefalls selbst war abgesehen von der brutalen Intensität und dem Aufbau der Altschneedecke eigentlich perfekt um keine Lawinen zu erzeugen: Es gab keine starken Temperaturschwankungen bei uns, nur eher schwachen Wind im Gegensatz zu den meisten anderen Gebieten und kaum Graupeleinlagerungen. Genau deswegen gab es auch kaum Schneebrettlawinen die im Neuschnee selbst gebrochen sind – wie sonst üblich bei einem derart starken Schneefall.

Verbreitung der Schwachschichten

Sie sind vor allem dort anzutreffen, wo es im November einer zusammenhängende Schneedecke gab. Fotos aus dieser Zeit helfen dabei super weiter.

Pirchkogel Mitte November. Wo die Berge auf dem Foto Schatten werfen, gibt es jetzt relevante Schwachschichten in der Altschneedecke.
Verbreitung des Altschneeproblems laut LWD Tirol Blogeintrag vom 07.12. Mit Stand 14.12. wurde die Höhengrenze von der Waldgrenze auf 2200m angehoben.

Low probability – High consequence

Durch den Schneefall liegt jetzt eine derart mächtige Schneedecke über den Schwachschichten, dass man sie als Mensch nur mehr an wenigen, schneearmen Stellen auslösen kann. Aber wehe wenn – dann können immer noch große Lawinen draus werden. Das zeigt die immer noch hohe Bruchausbreitungstendenz in den Schneeprofilen die in den letzten Tagen gegraben wurden. Siehe lawis.at…

Darum halte ich mich steilen, schattseitigen Touren noch fern. Mehr dazu weiter unten im Fazit.

Wir sind der Entwicklung der Schwachschichten auf den Fersen… Hier wird die Situation im aktuellen SchneeGestöber aus dem Profil dieses Fotos erklärt.
… aber noch sind sie da… (aufgenommen im selben Profil)
… und haben im Sellrain bereits zu Lawinenauslösungen geführt. Hier am Rietzer Grieskogel am 12.12. Die Leute sind immer weiter nach rechts rausgequert um unverspurten Pulver zu erwischen. Dabei sind sie immer weiter von einem SW-Hang in einen W- bis NW-Hang gekommen (siehe Schatten am Bild), damit in den Bereich einer vorhandenen Herbst-Altschneedecke und damit in den Bereich des Altschneeproblems. Foto: Paula Spannring
Zwei Tage zuvor hat der Hang so ausgeschaut. Man erkennt wieder sehr gut die Schattenbereiche die in etwa mit der Verbreitung der Schwachschichten zusammenpassen. Ich persönlich bin sicher schon bis an die äußerste Grenze rausgequert.

Schneequalität

Schattseitig wird man je nach Windeinfluss noch lange guten Pulver oberhalb von etwa 2000m finden. Sonnseitig nimmt die Schneequalität durch die Erwärmung samt Sonnenschein nun leider schnell ab. In flacheren, sonnseitigen Hängen bleibt der Pulver aber auch bestehen.

Auf der Lampsenspitze und am Rietzer Grieskogel findet man schon, beziehungsweise bald, durch die Skitourengehermassen eine planierte Schneedecke.

Alle Bereiche wo der Pulver bestehen bleibt, setzen sich durch die oberflächliche, aufbauende Umwandlung im Schönwetter mit klarem Himmel natürlich nicht mehr aus Neuschnee zusammen, sondern aus „Recycled Powder“. Das sind kleine, kantige Kristalle anstatt der schönen Neuschnee-Dendriten.

Fazit

Zwar ist eine Auslösung der schattseitigen Schwachschichten durch die mächtige Auflage unwahrscheinlich – aber wenn man eine geeignete Stelle trifft, können immer noch anständige Schneebretter draus werden. Die Schwachschichten im Altschnee sind nicht verschwunden sondern immer noch großflächig da und eine Bruchausbreitung in ihnen denkbar.

Einige Tourengeher werden sich in nächster Zeit aber freiwillig als Versuchskaninchen zur Verfügung stellen um den verbliebenen, besten Schnee zu erwischen. Die vom „Low-probability-high-consequence-Altschneeproblem“ betroffenen Touren werden sicher bei dem tollen Wetter bald massenhaft begangen. Das sind zum Beispiel der Zischgeles, der Gipfelhang der Schöntalspitze, die Querung am Hinteren Grieskogel beim Aufstieg zum Pirchkogel oder das hintere Finstertal. Da die denkbaren Auslösestellen so selten sind, werden keine oder nur vereinzelt Lawinen abgehen. Nur leider weiß man nicht, wo…

Sobald diese Touren flächig zerfahren sind, traue ich mich dann auch in diese Hänge rein. Denn erst dann ist für mich das nur vereinzelt besetzte Minenfeld in steilen Schattenhängen derart zerpflügt, dass ich es für meine persönliche Risikobereitschaft akzeptabel halte, dort hineinzufahren. Die Auslösewahrscheinlichkeit ist dann nicht mehr so groß, weil die potentiellen Minen bereits von einem anderen sehr wahrscheinlich aktiviert hätten werden müssen sobald alles zerfahren ist.

Wir sind jetzt einige Tage bis wenige Wochen von einem latenten – versteckten – nur schwach auslösefreudigem Altschneeproblem betroffen: In den Bereichen die der LWD Tirol nach Höhenlage und Exposition differenziert und im Lawinenreport ausgibt.

Darum bleibe ich vorerst im sonnseitigem Gelände und nehme schlechteren Schnee in Kauf. Dafür bekommt man dort etwas Sonne im Dezember ab.

Unterstützung

Findest du den SchneeReport hilfreich für dich und deine Tourenplanung? Oder bleibst du einfach gerne am neuesten Stand in Sachen Schnee- und Lawinensituation?

Der SchneeReport und die anderen Produkte bedeuten einen immensen Aufwand für mich. Unzählige Nächte um die Daten zu sammeln, die Fotos auszulesen und zu bearbeiten, mir über die Situation Gedanken zu machen und das Ganze dann komprimiert darzustellen und zu formulieren.

Wenn du mir eine Wertschätzung dafür entgegenbringen möchtest und dazu beitragen willst, weiterhin Zeit in diese Arbeit investieren zu können und den SchneeReport und das SchneeGestöber zu erhalten, freue ich mich um einen Förderbeitrag.

Per Überweisung

Lukas Ruetz

Raiffeisenbank Kematen

IBAN: AT50 3626 0000 3045 0530

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Verwendungszweck: Förderbeitrag SchneeReport

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Vielen Dank!

Fotostrecke der Skitouren nach dem Schneefall

Extrem viel Neuschnee, aber noch nicht so viel Gesamtschnee. Das Gelände verrät halt doch einiges.
Rietzer Grieskogel
Rietzer Grieskogel. Extrem viel Neuschnee, aber noch nicht so viel Gesamtschnee.
Mit jedem Meter den man weiter ins Klammbachtal hineinkommt, merkt man, wie die Schneemenge abnimmt.
Extrem viel Neuschnee, aber noch nicht so viel Gesamtschnee.

Extrem viel Neuschnee, aber noch nicht so viel Gesamtschnee.
Erinnerst du dich an das Foto weiter oben mit der Verbreitung der Altschneedecke im Schatten am Hochalter Nordseite vom November?

Durch den SO-Wind eingewehter Schnapper vorm Gipfel. Normalerweise immer ausgeblasen.

Pockkogel, Neunerkogel

Gleitschnee überall wo denkbar
Lüsens

Fotos von vor dem Schneefall

Skitouren möglich, aber wenig lohnend
Häufig Oberflächenreif zu finden
Inntal & Patscherkofel
Axamer Lizum

Kein Schnee in den Tälern. Vorderes Ötztal

Viele Eisgallen durch wenig Schnee und langes Strahlungswetter
Schlechte Schneequalität

Kunstschnee als einzige Option
Eiertanz auf leicht überschneiten Blöcken

Lockerschneelawinen durch wenig Pulver auf Kruste

Aria startet in ihre letzte Skitourensaison – mit noch einzelnen, kurzen Touren

2 Gedanken zu “15.12.2020 | SchneeReport Kühtai-Sellraintal | #2 20/21 Von null auf hundert

  1. Hallo Lukas
    Unvorstellbar und unbezahlbar, was du für die Lawinenunfallvermeidung in den winterlichen Bergen leistest; deshalb finde ich es richtig und wichtig, einen finaziellen Beitrag für diese (bis dato) kostenlose Fortbildung in (nicht nur) Lawinenkunde zu leisten.
    Ich habe wie immer, den ganzen Beitrag gelesen und wieder viel gelernt, das das komplexe Phänomen „Lawine“ ein bisschen fassbarer und verstehbarer macht. Vielen Dank für deine toll recherchierten und aufbereiteten Beiträge, die mir und vielen anderen helfen, ihr eigenes und anderer Menschenleben zu retten.
    Glück und Gesundheit auf deinen Pfaden!
    Theurl Peter, Natters

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