Gletscherspalten im Sellrain und die große Gletschermühle am Lüsener Ferner | #DahoamimSellroan Eine historische und aktuelle Betrachtung von weitgehend harmlos bis relativ gefährlich

Gletscherspalten im Sellrain und die große Gletschermühle am Lüsener Ferner | #DahoamimSellroan Eine historische und aktuelle Betrachtung von weitgehend harmlos bis relativ gefährlich

Lesezeit: 13 min

Eisbrüche, Seracs, Gletscherspalten, Bergschründe und Gletschermühlen – im Sellrain doch nicht?! Sehr wohl! Eine Betrachtung der historischen und aktuellen Gefahren durch Klüfte und Löcher im Eis des Sellraintales. Mit Verhaltensempfehlungen und vielen Bildern.

Die Gletscher im Sellraintal

Im Sellraintal gibt es noch acht größere Gletscher. Absteigend nach Größe geordnet: Lüsener Ferner (ca. 3,5 km²), Längentaler Ferner, Rotgratferner, Gleirscher Ferner, Kraspesferner, Fotscher Ferner, Weißkogelferner (am Winnebacher Weißerkogel), Grüne-Tatzen-Ferner. Sowie mehrere kleine Eisfelder: Längentalferner (Hochreichkopf), Eisfeld zwischen Acherkogel und Maningkogel, Gamezkogelferner, Mittertalferner, Ochsenkarferner, Nördlicher Sonnwandferner, Südlicher Sonnwandferner.

Für Skitourengeher und Bergsteiger relevante Gletscherspalten – früher und heute

Lange Zeit eine der größten Gletscherspalten im Sellraintal: Am unteren Ende des Rotgratferners. Foto aufgenommen vom Gipfel des Lüsener Fernerkogels in den 1980ern, Engelbert Ruetz.

Wirklich große oder relevante Gletscherspalten gibt es aber kaum mehr. Seit vielen, vielen Jahren kam es im Winter im Sellrain zu keinen Spaltenstürzen mehr. Die Gletscher werden im Winter auch fast von jedermann seilfrei begangen und kaum jemand führt überhaupt Gletscherausrüstung im Winter mit.

Im Sommer schaut die Geschichte noch etwas anders aus. Der Großteil der wenigen, noch vorhandenen Gletscherspalten ist allerdings nicht besonders breit – es gibt meist nur mehr „Mini-Gletscherspalten“ bei uns. Aber man kann schließlich auch in eine ein Meter breite Gletscherspalte hineinfallen. Vor allem im Sommer – hier das letzte, prominente Beispiel aus dem Sommer 2012. Im Winter sind solch kleine Spalten meistens sehr schnell eingeschneit oder mit einer soliden Schneebrücke versehen von der man mit Ski getragen wird.

Trotzdem werden die Sellrainer Gletscher seit ein paar Jahren im Sommer vom Großteil der Bergsteiger auch bei Schneeauflage seilfrei begangen. Für mich nicht immer nachvollziehbar.

Am ehesten kann man noch in eine der Randspalten zwischen Fels und Eis fallen. Diese gibt es noch relativ häufig an den Sellrainer Gletschern. Randklüfte bilden sich durch die Fließbewegung des Gletschers und die stärkere Erwärmung samt verstärkter Schmelze im Nahbereich der Felsen aus. Der letzte – und wahrscheinlich einzige Spaltensturz am Fotscher Ferner überhaupt – Unfall mit einer Randspalte im Sellrain war im Sommer 2015 unterhalb der Hohen Villerspitze. Hier ein Zeitungsartikel dazu.

Bergschründe gibt es im Sellrain fast keine mehr. Ein Bergschrund wird häufig verwechselt mit einer Randspalte, ist aber keine Spalte zwischen Eis und Fels, sondern eine spezielle Art der Gletscherspalte zwischen Eis und Eis. Ein Bergschrund tut sich meist in steilen, schattigen Eiswänden auf – und zwar zwischen dem oberen, sehr langsam fließenden Teil des Eises und einem unteren, wesentlich schneller fließenden Teil. Früher sagte man, das Eis oberhalb des Bergschrunds sei am Felsen festgefroren – was nicht ganz stimmt.

Hoher Seeblaskogel Nordwand, 1930er Jahre. Man erkennt mittig gut wie der Bergschrund von links nach rechts durch das Eis zieht. Foto vom Bergsteiger Otto Melzer aus dem Bildarchiv Georg Jäger.
Der Bergschrund unterhalb der Rotgratspitze am Rotgratferner 2012. Mittlerweile ist er nochmal kürzer geworden.

Gletscherbrüche/Eisbrüche gibt es im Sellrain keine mehr. Die letzten Seracs sind in den 1980ern verschwunden. Den größten Bruch gab es an der Kante zwischen Mauer und Lüsener Ferner. Dort ist ein einheimischer Bub in den 1980ern bei der Kreuzeinweihung des Lüsener Fernerkogels in eine Spalte gefallen und konnte durch die Verengung der Spalte nur mit Müh und Not noch gerettet werden. Den zweiten Gletscherbruch im Sellrain gab es am Kraspesferner zwischen oberem Gletscherbecken und den beiden Felsabbrüchen darunter. Und einen dritten am Nördlichen Sonnwandferner wobei es heute den gesamten Ferner fast nicht mehr gibt.

Der ehemalige Gletscherbruch am Lüsener Ferner zwischen Becken und Mauer. Aufgenommen von der Hohen Villerspitze. Heute befindet sich das untere Gletscherende auf der Oberseite des damaligen Gletscherbruchs. Foto: Bildarchiv Georg Jäger.
2019 von der Hohen Villerspitze aus
Gletscherspalten am Gletscherbruch des Lüsener Ferners. Gletscherbruchs. Foto: Bildarchiv Georg Jäger.
Gletscherbruch Lüsener Ferner mit Blick zum Rotgratferner und Fernerkogel. Bildarchiv Georg Jäger.
In den 1980ern ist der Gletscherbruch an der Kante des Lüsener Ferners langsam verschwunden. Foto: Engelbert Ruetz

Die größten, normalen Gletscherspalten findet man heute am Rotgratferner knapp unterhalb des Lüsener Fernerkogel Skidepots. Sowie am Lüsener Ferner im oberen Bereich des orographisch linken Beckens. Genauer gesagt auf der Standard-Aufstiegsroute zur Lüsener Spitze. Aufgrund der Breite und v.a. der Tiefe dieser Spalten, empfiehlt es sich, zumindest noch hier und im Sommer bei Schneebedeckung angeseilt unterwegs zu sein! Das heißt nicht, dass man sonst nirgends bei uns in eine Spalte fallen kann. Es gibt noch einige Bereiche am Lüsener und am Längentaler Ferner wo es mehrere, kleine Gletscherspalten gibt.

Die beiden Bereiche mit den größten und meisten Gletscherspalten im Sellrain im Jahr 2020 in Rot. In Blau ein Bereich von mehreren mit kleineren Spalten. In Grün die Randspalte in der Eiswand des Wilden Hinterbergls, die bei einer Begehung der Wand überquert werden muss. Kompass Karte hier abrufbar.
Die Randspalte in der Eiswand des Wilden Hinterbergls. Womöglich ist das Eis darunter inzwischen abgerissen und damit gib es hier eine durchgehende Randspalte und keinen Bergschrund mehr.

Gletscherspalten am Anstieg zur Lüsener Spitze (Mitte).
Detail Lüsener Spitze mit den zahlreichen Spalten direkt am Winter-Sommer-Normalweg.
Anstieg zur Lüsener Spitze kurz bevor man den Gletscher wieder verlässt. Zwar keine Riesenspalten, aber tief und breit genug um hineinzufallen. Foto: Martina Ofer
Gletscherspalten am Rotgratferner. Gipfel Lüsener Fernerkogel rechts.
Gletscherspalten am Rotgratferner. Die breiteste befindet sich noch unterhalb des Skidepots.
Gletscherspalten am Rotgratferner

Nicht ungefährlich: Die große Gletschermühle am Lüsener Ferner

Im schwarzen Kreis befindet sich die große Gletschermühle

Neben den oben genannten Gletschererscheinung gibt es noch eine Vielzahl anderer. Nicht alle sind gefährlich für uns Bergsteiger.

Mindestens gleich gefährlich wie Spalten sind aber größere Gletschermühlen. Eine Gletschermühle entsteht wenn Schmelz- und Regenwasser nicht mehr der Eisoberfläche entlang rinnt, sondern einen vertikalen Tunnel bis an den Grund des Gletscher frisst. Das Wasser stürzt durch dieses Loch dann senkrecht hinunter – wie bei einem Wasserfall.

Am Lüsener Ferner gibt es derzeit in der Nähe der normalen Skitourenroute eine Gletschermühle mit mehreren dutzend Metern Tiefe. Diese Gletschermühle weist einen Durchmesser von mehreren Metern auf – so dass ein Kleinwagen hineinpassen würde. Damit ist sie derzeit das wohl gefährlichste Loch in einem Gletscher im Sellrain überhaupt!

Im Winter ist die Mühle meist schon früh überschneit, aber wahrscheinlich lange nicht mit einer tragfähigen Schneebrücke überspannt. Am besten hält man sich von diesem Bereich einfach immer fern.

 

Die große Gletschermühle am Lüsener Ferner
2014 waren es zwei Mühlen nebeneinander. Foto: Martina Ofer
Foto: Martina Ofer. Nicht Nachmachen!
Das ist ein 50l-Rucksack…

 

Bereich der Gletschermühle im Winter

Sonst noch interessant

Die Bergung des viersitzigen Flugzeuges aus der Gletscherspalte gestaltete sich damals schwierig.

Am 22. August 1994 ist ein kleines Sportflugzeug mit vier Insassen am Lüsener Ferner unterhalb des Hinteren Brunnenkogels abgestürzt. Erst nach langer Suche wurde das Wrack und die Leichen gefunden, da alles zusammen von einer Gletscherspalte verschluckt war. 2013 sind an dieser Stelle Teile des Absturzes ausgeapert. Hier ein Bericht dazu.

Fazit

Das Risiko im Sellrain in eine Gletscherspalte zu fallen, ist in Summe sehr gering geworden. Aber noch ist es nicht unmöglich dort in einer Gletscherspalte oder Gletschermühle zu sterben.

So gehe ich mit diesem Risiko um:

Um den Bereich der großen Gletschermühle am Lüsener Ferner macht man am besten einen großen Bogen im Sommer wie im Winter.

Im Sommer würde ich mich bei Schneebedeckung der Gletscher immer anseilen. Wenn der Gletscher schneefrei ist dann je nach Belieben und Steilheit des Eises. Im Winter bin ich persönlich im Sellrain ohne Gletscherausrüstung unterwegs.

Und weil immer mehr Leute auch im Sommer keine Steigeisen für den Lüsener Fernerkogel mitnehmen: Der Rotgratferner ist am unteren Ende anständig steil. Ich tu mir den Stress nicht an, dort Stufen schlagen zu müssen oder sonst wie hinunter zu zittern. Steigeisen gehören auf einem Gletscher einfach im Sommer in den Rucksack – auch wenn man sie schlussendlich nicht verwendet hat.

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