Als mein Bruder Clemens und ich am Abend des siebten Dezember, unmittelbar nach Ende des Jahrhundertschneefalls am Nikolauswochenende 2020, die Bergeaktion für die eingeschneiten Rehe für den darauffolgenden Tag planten, hatten wir noch keine Vorahnung auf den Ablauf der nächsten Tage und Wochen. Die Medienresonanz auf meinem späteren Artikel über die Bergeaktion war schier unglaublich – in Social Media, Zeitungen und im TV. Darum eine Aufklärung über die Beweggründe zur Veröffentlichung der Aktion.
Rückblick
Der Herbst 2020 war geprägt von frühen, intensiven Schneefällen im September und Oktober bis sich im November eine stabile Hochdrucklage etablierte. Der meiste Schnee schmolz wieder ab und der Herbst zeigte sich von seiner schönsten Seite. Die Täler und Berge waren fast wieder schneefrei. Zum Nikolauswochenende kündigte sich schließlich ein massiver Schneefall an. Innerhalb von zwei Tagen fielen im Sellraintal ca. 130cm Neuschnee auf aperen Boden. Hier findet sich eine Aufarbeitung dieses Schneefalls im SchneeReport Kühtai-Sellraintal.
Durch die unglaubliche Niederschlagsintensität (100-jähriges Ereignis) wurden mehrere Rehe im Bereich der Zirmbachalm im Sellraintal eingeschlossen und konnten sich im im tiefen, lockeren Neuschnee kaum mehr fortbewegen.
Am 08.12. haben wir – ein Team aus mehreren Jägern und mir – die Rehe befreit und zu den Fütterungen gebracht. Nach kurzer Überlegung habe ich die Aktion am Blog aufgearbeitet und wenige Tage darauf veröffentlicht.
Was wollte ich damit bezwecken?
Hintergründe
Ganz normal: Hilfsaktionen für Tiere in Not
Tierrettungen, insbesondere von Rehen bei Starkschneefällen, finden in den Alpen häufig statt. Von Jägern für Wildtiere, aber auch von Bauern wenn beispielsweise eine Kuh im Gelände abstürzt oder sich Schafe im Almsommer im felsigen Gelände versteigen. Oft unter Inkaufnahme von Risiken, die jene unserer Rehbergung um ein Vielfaches übertreffen. Davon hört man aber als Normalverbraucher kaum etwas.
Das verzerrte Bild des Lebens am Land
In den letzten Jahren bis Jahrzehnten hat sich in der Bevölkerung das Bild der Landwirtschaft teilweise, vor allem aber das der Jägerschaft völlig verzerrt. Während eine Generation vorher noch fast jeder eine Verbindung zu den natürlichen Lebensformen am Land hatte – entweder direkt oder indirekt über die Verwandtschaft, ist das inzwischen kaum mehr der Fall. Damit ist auch die geistige Verbindung und der Großteil des Grundlagenwissens darüber verloren gegangen. Urban aufwachsende Kinder kennen das Ganze heute nur mehr aus dem Fernseher oder vom Sonntagsausflug in einer romantisch-verzerrten Heidi-Idylle oder genau im gegenteiligem, negativ geprägtem Bild der bösen Bauern die nur schimpfen, wenn man ins Gras reinläuft oder der Jäger die aus Spaß Tiere schießen. Eine objektive, realitätsgetreue Betrachtungsweise ist vielen Menschen nicht mehr möglich, weil sie im dicht besiedelten Ballungszentren von einer ursprünglichen Lebensweise örtlich wie gedanklich inzwischen weit entfernt sind.
Einzelfälle die das Bild der Jägerschaft weiter verschlechtern
Die Jägerschaft ist inzwischen zu einem der größten Buh-Männer der Gesellschaft mutiert. Teils selbstverschuldet: Zum Beispiel wegen Aufnahmen wie jene der noch lebenden Gämse die in einem Tiroler Revier angeschossen aber noch lebend über Geröll ins Tal gezogen wird.
Es mag sein, dass die Anzahl von Menschen mit einem Hang zur Tierquälerei in der Jägerschaft überrepräsentiert ist. Aber der Großteil der Jäger ist aus einem gänzlich anderen Holz geschnitzt.
Beweggründe
Jäger sind meist Menschen die nicht aus Spaß ein Tier töten oder leiden sehen wollen…
Aufklärung über die Funktionsweise der Welt abseits der Ballungsräume
Die Abschusspläne werden von den Behörden – das sind in Tirol die Bezirkshauptmannschaften – vorgegeben und basieren auf den regelmäßigen Wildzählungen. Jäger müssen sie erfüllen, sonst drohen Geldstrafen oder im schlimmsten Fall der Verlust der Jagdkarte.
Der von den Behörden ausgeübte Druck auf einige Reviere zur Erhöhung der Abschusszahlen ist übrigens immens. In Tirol gibt es ein krasses Ungleichgewicht in der staatlich angeordneten Auffassung zwischen Wald und Wild beispielsweise. Jeder verbissene Baum wird als großer Schaden angesehen – wobei zeitgleich vergessen wird, dass Wildverbiss ein natürlicher Prozess ist. Hier kommt ein Paradoxon zu tragen: Die Jägerschaft ist privat organisiert während der Forst staatlich organisiert ist. Zum einen erfüllt der Wald im Gebirge natürlich eine immense Schutzfunktion – allerdings wird er von den Grundbesitzern und noch viel stärker vom Forstdienst als Einnahmequelle angesehen.
Dieser Umstand führt seit Jahren zu einer Verwaldung offener Weide- und Erholungsflächen in Tirol und eben auch zu Abschussplänen, die für einige Jagdreviere kaum oder gar nicht mehr erfüllbar sind. Unser Problem in vielen Seitentälern ist allerdings nur höchst selten der Wildverbiss oder Schälschäden, sondern viel mehr die Verwaldung offener Flächen die als Erholungsraum und für das Landschaftsbild häufig wichtiger sind als eine bewaldete Fläche – und nebenbei ökologisch viel wertvoller in Sachen Biodiversität.
Vergleicht man alte Bilder aus den 1950er oder -60er Jahren, fällt nicht nur die positive Entwicklung des Schutzwaldes auf – sondern auch die massive und in diesem Fall negativ behaftete Verwaldung im Talbereich. Dies lag zuerst am Rückzug der Weidewirtschaft und nun an einer unnatürlichen Auffassung vom Verhältnis zwischen Wild und Wald von Seiten mancher Behörden.
Die Aufgabe der Jäger
Die Jägerschaft erfüllt mit der Erledigung der staatliche angeordneten Aufgaben einen wichtigen Beitrag für die Gesellschaft durch ihre harte Arbeit und versorgt uns nebenbei mit hochwertigen Lebensmitteln. Das angeordnete Erlegen der Tiere ist dabei nur ein kleiner Teil – und gleichzeitig im Gebirge ein Knochenjob. Wer trägt zum Spaß ein 20 bis teils 100 kg schweres Tier über absturzgefährdetes Gelände ins Tal?
Der Großteil der Zeit vergeht aber mit dem Beobachten der Tiere, organisatorischen Maßnahmen und nicht zuletzt mit dem Füttern von Rot- und Rehwild im Winter. Das sind beispielsweise bei uns in St. Sigmund durchschnittlich 180 – 200 Tage im Jahr! Tonnenweise Heu muss händisch von der Scheune zu den Futtertrögen gebracht werden. Täglich, sieben Tage in der Woche. Ohne Pause bei Sturm und Schneefall.
Gefüttert wird auch nicht zum Spaß. Ein Hirsch kann auf 1500m in einem normalen Winter nicht überleben. Was soll er auch fressen außer Schnee – oder Teile von Bäumen. Die sind für ein Überleben aber zu wenig. Das Wild ist in früheren Zeiten im Winter in die Auenlandschaften der tiefen Täler abgewandert. Aber seitdem in Tirol das Inntal gebietsweise so dicht besiedelt ist wie die Ballungszentren in Deutschland, ist das nicht mehr möglich.
Außerdem schreiben die Behörden bei uns die Wildfütterung ebenfalls vor. Eine nachlässige und unterlassene Fütterung im Winter wird ebenso bestraft wie das Nicht-Erfüllen der Abschusspläne.
Für das diffamiert, was gesetzlich vorgeschrieben ist
Gleichzeitig werden Jäger immer wieder unter der Gürtellinie angegriffen: Meist sogar für das Füttern oder das Schießen. Auf der kleinen Jagdhütte im Kraspestal oberhalb der ersten Zwinge liest man beispielsweise noch in ausgeblichener Schrift: „Jägern ist grausam, pervers, feig.“
Diese Entwicklung stimmt mich traurig und bedenklich zugleich. Das Unwissen um die Funktionsweise unserer Welt außerhalb der befestigten Straßen wird mit jedem Jahr größer in dem sich die Gesellschaft weiter urbanisiert und von einer natürlichen Lebensweise entfremdet.
Gleichzeitig scheint die subjektiv gefühlte Naturverbundenheit aber größer zu werden. Ein Beispiel dazu sind Wintersportler im alpinen Gelände wie wir Skitourengeher: Wer ehrlich zu sich selbst ist, muss sich eingestehen, dass das mit Naturverbundenheit gar nichts zu tun hat – nur weil man sich in der Natur bewegt. Jeder Mensch am Berg ist eine Störung für viele Wildtiere, vor allem im Winter. Auch wenn man deswegen nicht zuhause bleibt – wir sollten uns dessen wenigstens bewusst sein und die Tatsache nicht herunterspielen.
Die Antwort
Aus diesen Gründen war es mir ein Anliegen, die Jägerschaft mit dem Beispiel der Rehwildbergung in die Köpfe der Bevölkerung zu holen und endlich positive Schlagzeilen über die Jägerschaft zu kreieren. Da ich als Nicht-Jäger lediglich dann und wann bei Arbeitseinsätzen unterstützend dabei bin, war diese Rettungsaktion der sechs Rehe ein tolles Musterbeispiel was die Jagd wirklich ausmacht.
Übrigens haben wir im Dezember 2020 nicht nur an besagtem Tag die Rehwildbergeaktion durchgeführt. Da es nach so einem extremen Schneefall viele Tage dauert bis sich die Schneedecke entsprechend setzt, dass Wildtiere sich wieder halbwegs fortbewegen können, waren wir mehrere Tage im Einsatz und haben immer wieder Rehe und auch ein Hirschkalb aus dem Bach geholt.
Die Reaktionen
Die Resonanz auf die Veröffentlichung der Aktion war schließlich unglaublich. Unser Alltag war tage- und nächtelang davon geprägt, Interviewanfragen abzuarbeiten: Mehrere Fernsehsender, Tageszeitungen und viele, viele Jagdmedien haben von der Bergeaktion berichtet: Von Griechenland über Spanien, Italien, Ungarn, Holland und dem gesamten, deutschsprachigen Raum. Dazu noch Frauenzeitschriften, diverse Wintersportmagazine und zig Internetseiten wie beispielsweise hier.
Auf Facebook wurde der Eintrag nur über meinen Kanal von ca. 2 Millionen Personen gesehen. Wobei die Bilder – wie für virale Geschichten üblich – heruntergeladen und extern mehrfach nochmals hochgeladen wurden.
Neben den zigtausend Kommentaren und dutzenden Emails kamen einige Tage später sogar Briefe nachhause geflattert. Vor Weihnachten gab es noch einen ausführlichen Tirol Heute Beitrag im ORF zur Bergeaktion.
Und wir staunten nicht schlecht, als Helmut von der Firma Noris Feuerlöscher bei uns vorbeigekommen ist und für die Bergemannschaft je einen Autofeuerlöscher spendiert hat.
Ich habe mit ein paar tausend erreichten Personen in den sozialen Medien und ein paar tausend Klicks auf den Beitrag auf meiner Homepage gerechnet. Aber dass das alles so durch die Decke geht, war nicht abzusehen. Meine Homepage war tagelang zeitweise überlastet und nicht mehr erreichbar.
Rückblickend betrachtet hätte man die Resonanz vielleicht erwarten können: Eigentlich war alles dabei, was eine hollywoodreife Geschichte ausmacht:
Der „selbstlose“ Retter (Held) bewahrt die armen Tiere (Liebe) im meterhohen Schnee (Sehnsucht) vor dem unausweichlichem Tod (Sterben) – und gleichzeitig war die Veröffentlichung noch kurz vor Weihnachten.
Natürlich überspannt gezeichnet – aber leider gehen Geschichten nur viral wenn sie emotionsgeladen sind. Wenn man eine Botschaft an viele Menschen bringen will, reicht Sachlichkeit nicht aus. Emotionen müssen (leider…) immer dabei sein.
Fazit
Die ganzen Nächte am Computer haben sich gelohnt. Natürlich ist es nur ein Tropfen auf den heißen Stein, aber steter Tropfen…
Wir sind froh damit einen winzigen Beitrag zur rechten Positionierung der Jägerschaft in der Öffentlichkeit geleistet zu haben. Und um einen nachhaltigen Beitrag zur Verbesserung des Jagdimage zu erreichen, wollen wir alle Jäger animieren es uns gleich zu tun: Der alltägliche Jagdbetrieb gehört öfter vor den Vorhang geholt. Um Vorurteile abzubauen und der Bevölkerung ein differenziertes Bild der Jagd zu ermöglichen. Jeder Jäger der dies liest, kann und soll seine Arbeit der Bevölkerung vorstellen: Sei es durch soziale Medien, durch einen Artikel in der Lokalzeitung oder was auch immer.
Natürlich ist es sehr wahrscheinlich, dass welche von diesen Rehen später geschossen werden – aber deswegen wurden sie nicht gerettet. Man hätte sie sofort mit der Argumentation eines Hegeabschusses erlegen können. Es geht um die Empathie der Menschen – nichts anderes ist ein Jäger – für die Tiere in dieser Notlage. Die Rehwildbergung am 08.12.2020 war das beste Beispiel dafür: Des Jägers Herz für seine Tiere.
Wunderbar realistisches und nachvollziehbares Statement.
Sehr aufschlussreich für außenstehende.
Eine ganz tolle „Zusammenfassung“