2023: Warmer Sommer – Schwarzes Eis – Roter Herbst

2023: Warmer Sommer – Schwarzes Eis – Roter Herbst

Lesezeit: 13 min

Herbst 2023: Wenigstens Rot, aber noch kein Gold

In St. Sigmund gab es bis Anfang Oktober nur zwei Mal Bodenfrost. Und ein weiterer ist derzeit nicht in Sicht. Anfang Oktober haben die Lärchen selbst an der Waldgrenze keinen gelben Schimmer. Es wird wärmer und wärmer. Wir haben zwischen Mitte Mai und Anfang Oktober nur an zwei Tagen eingeheizt. Normalerweise muss im September auch bei Schönwetter schon an den meisten Tagen geheizt werden. In den Feldern wächst so viel nach, dass in Gries einige Flächen für einen dritten Schnitt genutzt werden. In St. Sigmund erfreut sich das Vieh an einer vielfach besseren Herbstweide als in früheren Jahren. Die Gletscher verschwinden – aber es gibt auch viele, viele Vorteile, zumindest bei uns. Und weil es nicht nur warm, sondern auch immer feucht war (zumindest bei uns), erfreuen wir uns auch an einer Granten- und Moschbeerenflut.

03.09.2023

Wenn es im Sellrain schon praktisch keine Gletscherspalten mehr gibt, dann schauen wir uns halt andere an.

06.09.2023

Auf Gletscher-Strawanz-Tour. Mehr Fotos dazu weiter unten im Gletscherteil des Artikels.

 

 

07.09.2023

Amphibolit-bedingtes Steilgras im Hintergrund

 

Windenschwärmer. Kennt man bei uns normalerweise nicht. Vermutlich eine Gletscherleiche aus der Windenschwärmer-Invasion im Hitzesommer 2003.

Da rinnt das Eis dahin.
Was bleibt, sind Sturzfluten und Moränen.
Und fehlende Ärme

11.09.2023

Schwalbenschwanz-Raupe in Lüsens

Erosionsformen
Schiache Granaten am Haupt-Granatenberg des Sellraintales

17.09.2023

Leider findet man im Sellrain so auch kein Gold.

21.09.2023

Die vielleicht schönste Blockgletscherzunge der Region

01.10.2023

Morgendiskussion: Ist es Saharastaub? – Nein, die ZAMG-Modellierung schließt das aus. Außerdem liegt Saharastaub nicht ausschließlich in tiefen Luftniveaus sondern ist mehr oder weniger gleichmäßig verteilt. Die obere Grenze war fast wie bei einer Inversion abgeschnitten bei etwa 2800 m. Außerdem war die Trübung stärker als bei den stärksten Saharastaubereignissen. Die Antwort: Waldbrandrauch aus Kanada.

Gleirsch
Der vielleicht schönste Blockgletscher der Region mit Wellen
Hat schon was, wenn man so am Gipfel im Oktober sitzen kann. 3000 m…
Als ob sie heute noch da wäre.

 

02.10.2023

Überall stumme Zeugen auf dieser Welt
2020 hat der Lüsener Ferner letztmals ins Tal hinuntergeschaut.
… und zwar hier.

„I woaßn no do.“

Wo isch sie, die Webcam?
Eine Schüttung fast wie im Hochsommer

03.10.2023

Heuer gibt es noch keinen goldenen Herbst, nur einen Moschbeer-Roten. Das Wort „Moschbeer“ ist übrigens ein Paradebeispiel, wie in unserem Dialekt fast krampfhaft möglichst viele „sch“ eingebaut werden wollen. Moschbeeren sind das.

 

Gletscher-Supergau: Das letzte, schwarze Eis

Zwei schneearme Winter, zwei heiße Sommer: 2022 und 2023 haben den nächsten Schritt im Zerfall der Gletscher im Sellrain eingeläutet. Während im Schnitt der letzten Jahre immer 1 – 1,5 m Eis im Mittel über die gesamte Gletscherfläche abgeschmolzen sind (unterer Bereich meist über 3 m, oberer Bereich um einen halben Meter), waren es heuer und letztes Jahr im Schnitt über die gesamte Fläche um die 3 m. Also in etwa doppelt so viel. Das sind 2700 kg/m² Eis das pro Jahr abschmilzt. Das heißt, pro Quadratmeter Gletscherfläche rinnen in einem Sommer 2700 l Wasser ab das von Gletschereis stammt. Der Lüsener Ferner weist ca. 2.600.000 Quadratmeter auf. Das sind also gesamt etwa sieben Milliarden Liter Wasser die dadurch jeweils 2022 und 2023 aus Eis abgeschmolzen sind. Dazu kommt noch das Schmelzwasser vom Schnee des Winters und natürlich das Wasser vom aktuellen Regen…

Aja: Geltscherwasser kann man für nichts nutzen außer zur Erzeugung von Strom: Weder zum Trinken, noch zum Bewässern – wegen dem feinen Sand. Das ist ein recht hartnäckiges Märchen der Medien. Gletscher sind Süßwasserspeicher, aber keine Trinkwasserspeicher.

Kraspesferner. Die Spitze des Felskopfs zwischen Sonne und Lara lugte erstmals im Sommer 2021 aus dem Eis heraus. Inzwischen ist es ein über fünf Meter hoher, stattlicher Schrofen.

Ein gesunder Gletscher ist am Ende eines Sommers noch zu ca. 2/3 mit Schnee bedeckt. Das heißt, damit der Gletscher weder wächst noch schrumpft, also seine Masse gleich bleibt, dürfte nur maximal ein Drittel blankes Eis vor dem Einschneien im Herbst herausschauen. Und das über viele Jahre hintereinander. Dann schmilzt im schneefreien Bereich in etwa gleich viel Eis ab, als im schneebedeckten Bereich neu gebildet werden kann.

20.10.2014 – im besten Gletschersommer der letzten Jahre, war der Lüsener Ferner im Herbst kurz vor dem Einschneien noch in etwa zur Hälfte mit Schnee vom Winter bedeckt. Der Sommer war kalt, grausig, verregnet. Eine Katastrophe für die Heuarbeit und kaum brauchbare Tage für bergsteigerisch interessante Aktionen. Hier die Zusammenfassung des Sommers 2014 der ZAMG.
Der Rotgratferner war sogar noch fast vollständig mit Altschnee bedeckt am 20.10.2014. Ein krasser Gegensatz zu den Jahren 2015 – 2023.

Im Sellrain waren die Gletscher von den 1960ern bis Mitte der 1980er in etwa in diesem Gleichgewicht. Der Lüsener Ferner wurde dabei nie großflächig schneefrei. In den 1980ern stieg die Schneegrenze in den Sommern immer weiter an – bis die Sellrainer Gletscher Anfang der 1990er erstmals fast vollständig schneefrei waren. Fast, denn am Lüsener Ferner beispielsweise blieben bis zum Sommer 2022 immer noch Mini-Akkumulationsgebiete übrig. Akkumulationsgebiete sind die dauerhaft schneebedeckten Bereiche wo sich frisches Eis bilden kann. Diese waren bis vor kurzem jeweils noch ein Streifen im schattigen Bereich zwischen Rinnennieder und Berglasspitze und zwischen Vorderem Hinterbergl und Brunnenkogelscharte sowie auf der Scharte der 3. Brunnenkogelrinne in einem stark vom Windverfrachtungen beeinflussten Bereich. Sowie im orographisch linken Gletscherarm Richtung Lüsener Spitze unterhalb deren Nordseite.

Im Sommer 2022 und auch im Sommer 2023 sind nun fast alle dieser Rest-Akkumulationsgebiete ausgeapert. Dort kommt dann das „frischeste“ Gletschereis zum Vorschein. Also Gletschereis, das sich erst in den letzten Jahre frisch bilden konnte. Dieses neue Eis unterscheidet sich von „altem“ Gletschereis dadurch, dass es viel dunkler und „schwärzer“ ist. Außerdem sieht man dort sehr schön die Jahrringe der Eisbildung. Damit ist nun auch der Lüsener Ferner ein Toteisfeld und kein lebender Gletscher mehr – er weist keine Neubildung von Eis mehr auf.

Frisch gebildetes Gletschereis der letzten Jahre mit seinen Jahrringen im schattigen Bereich unterhalb der Berglasspitze am Lüsener Ferner. Zumindest dort wo auf diesem Foto Schatten ist, blieb der Schnee bis 2021 noch immer liegen. 2022 und 2023 ist er aber auch dort abgeschmolzen. 24.08.2023
Lediglich am Hinterbergl der Streifen Schnee blieb heuer noch übrig. Aber er wird zunehmend schmäler, darunter kommt ebenfalls das dunkle, frische Eis heraus. 24.08.2023

Dazu ein paar Gletschervergleiche

2012. Hinterbergl Eiswand vom Zwieselbacher Rosskogel aus.
2023. Hinterbergl Eiswand. Bald ist die letzte Eiswand des Sellraintales Geschichte (nach Seeblaskogel Nordwand und Vordere Sonnenwand Nordwand).
2013. Hinterbergl Eiswand und Schrankogel vom Lüsener Fernerkogel aus.
2023
2013 Rotgratferner
2023
2012 Kraspesferner
2022 Kraspesferner
2023 Kraspesferner
2013 Längentalferner
2023 Längentalferner
2013 Gletscherzunge Lüsener Ferner.
2023. Die Flächenverluste in den letzten Jahren waren nicht eklatant. Aber die Massenverluste bzw. die Dicke.
2023. Rotgratferner, unteres Ende. Das „22“ wurde im Herbst 2022 direkt zum Eis auf den Fels geschrieben. Der Längenverlust an sich ist nicht stark…

Trotzdem: Wir erfreuen uns der Gletscher im Sellrain, solange noch etwas übrig ist…

Der Anstieg auf die Lüsener Spitze über die übliche Route ist bald nicht mehr möglich. Alternativen gibt es bereits…
Kraspesferner

Oben habe ich „Zerfall“ und nicht „Rückgang“ der Gletscher geschrieben. Es handelt sich nun wirklich um den Zerfall…. Inzwischen tauchen auch immer mehr Moränen der verschiedenen Gletscherärme auf. Am Längentalferner und am Gleirscher Ferner kann man ausgezeichnet beobachten, wie die Mittelmoränen Jahr für Jahr weiter herausschauen. Aber auch am Lüsener Ferner dürften einige Schuttstreifen von langsam ausapernden Mittelmoränen stammen.

Ausapernde Mittelmoränen am Längentalferner, 02.10.2023
Gleirscher Ferner, 01.10.2023. Die Mittelmoränen und auch der Untergrund apern nun auf der gesamten, verbleibenden Gletscherfläche aus.

 

 

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