28.12.2023 | SchneeReport Kühtai-Sellraintal | Viel Schnee aber schlechter Schnee #2 2023/2024

28.12.2023 | SchneeReport Kühtai-Sellraintal | Viel Schnee aber schlechter Schnee #2 2023/2024

Lesezeit: 17 min

Die Schneemenge für Ende Dezember ist am Berg gewaltig. Die Schneequalität ist das derzeit leider nicht. Empfehlung: „Tourengeher-Geländepisten“ nützen.

Schneemenge

Auf den Bergen liegen derzeit Schneemengen, wie ich sie im Sellrain noch nie im Dezember beobachtet habe. Trotzdem: Der Streifen vom Eingang ins Sellraintal über die zentralen Stubaier Alpen bis zur Weißkugel zeigt sich wieder einmal als schneeärmster Bereich Tirols – relativiert zur Seehöhe. Konkret: Die schneeärmsten Täler Nordtirols sind das Ventertal, das hintere Pitztal und Kaunertal. Gleich danach folgt die Gegend östlich von Nauders gleichauf mit der Gegend zwischen Sölden und Sellrain. Beachte: Schneemenge hat nur sehr wenig mit Schneesicherheit zu tun… SNOWGRID bei der Geosphere Austria hier anschauen.

Rekordverdächtige Schneemenge für Dezember auf den Bergen

Seitdem ich die Schnee-Lawinensituation im Sellraintal gezielt beobachte (2010/11) gab es im Dezember noch nie so viel Schnee auf unseren Bergen. Derzeit liegt schon deutlich mehr Schnee als beispielsweise in den letzten, beiden Wintern gesamt erreicht wurde.

Bereich Westfalenhaus am 17.12.2023

Die Schneehöhen der inzwischen gesetzten Schneedecke am Berg entsprechen den maximalen Schneehöhen einer durchschnittlichen Saison – die meist erst im März oder April erreicht werden…

In Summe ist seit dem letzten SchneeReport vom 06.12. in der Höhe wieder etwa 1 m Neuschnee dazugekommen. Es gab zwei Niederschlagsereignisse um den 11.12. und vom 21.12. – 25.12.2023. Weiter oben ist wieder viel Schnee dazugekommen, dann gibt es ein Höhenband um 1600 m in dem die Schneehöhe seit Anfang Dezember in etwa gleich geblieben ist und weiter unten hat der Regen mehr Schnee(höhe) gefressen als bei schwankender Schneefallgrenze dazugekommen wäre.

Am 11.12. gab es über mehrere Stunden Niederschlagsintensitäten, wie sie im Sellrain sonst im Winter kaum vorkommen. Fast so wie in einer Staulage in den Nordalpen. Wärmere Luft kann einfach viel mehr Wasser aufnehmen…

Konkret ist die Schneemasse oberhalb von 2400 m rekordverdächtig für Ende Dezember, von 2400 m bis 1900 m stark überdurchschnittlich, zwischen 1900 m und 1500 m noch überdurchschnittlich. Von 1500 – 1300 m etwa durchschnittlich und unterhalb 1300 m leicht unterdurchschnittlich. Die Schneegrenze liegt schattseitig um die 900 m.

Der große Vorteil: Im Sellrain sind fast alle Ausgangspunkte für Skitouren oberhalb von 1500 m, die meisten sogar bei 1700 – 2000 m…

Viel Schnee am Berg – viel Regen im Tal

Man merkt einfach, wie oft und wie intensiv es bis weit hinauf geregnet hat. Bis an die 2600 m regnete es beispielsweise am 13./14.11. oder bis 2400 m am 18./19.11. – mit jeweils starker Intensität. Zudem um den 11.12. starker Regen bis auf etwa 2000 m und vom 21. – 23.12. nochmals bis kurz an die 2000 m. Meist lag die Schneefallgrenze bei diesem letzten Ereignis aber unterhalb von 1400 m. Dafür folgte unmittelbar danach für etwa 24 Stunden vom 24. auf den 25.12. massives Tauwetter (= Hohe Temperaturen + bedeckter Himmel + starker Wind + extrem hohe, absolute Luftfeuchtigkeit) und kurzzeitig leichter Regen am Abend des 24.12. bis ca. 2600 m. Nach dem Regen um Mitternacht stieg die Nullgradgrenze des Taupunkts bis knapp 2900 m an! Eine so hohe Nullgradgrenze des Taupunkts habe ich im Winter noch nie selbst beobachtet.

Abgang vereinzelter Nassschneelawinen bis nahe an Rodelbahnen beim Tauwetter am 24./25.12. – Gleirschtal. Klimawandel live?

Zwar liegen bei mir vorm Haus (1500 m) durch dieses kurze, aber umso intensivere Tauwetter zu Weihnachten „nur“ mehr etwa 30 cm Schnee (vs. ca. 60 cm am 23.12. vor dem Tauwetter) und damit eine in etwa durchschnittliche Schneehöhe für Dezember – aber die Schneemasse ist trotzdem überdurchschnittlich. Der Schnee vorm Haus hat durch die ständige Schmelze bereits eine Dichte wie sonst im Frühjahr.

Wenn es seit Anfang November alles bei uns im Dorf geschneit hätte, würde inzwischen eine wohl etwa 1 – 1,5 m gesetzte Schneedecke vorm Haus liegen…

Auf den Bergen ist die Schneemenge aber einfach nur gewaltige für die Jahreszeit!


Schneeverteilung

„Landschaftsverändernde Schneeverfrachtungen“

Im Gipfel- und Kammbereich sowie in steilen West-, Nordwestflanken liegt meist deutlich weniger Schnee als vor einer Woche. Der abartige Weststurm vom 21. bis  23.12. – wie er nicht jeden Winter vorkommt – hat gewaltige Mengen an Schnee verfrachtet. Dafür wurden ostseitige Mulden, Kare und Täler massiv aufgefüllt. Am besten konnte man das auf der Lampsenspitze beobachten: Das Skitourengelände befindet sich durchwegs in ostseitigen Mulden und dort liegen inzwischen teilweise Schneemengen wie in den letzten Jahren in den schneereichsten Wintern im März.

Windeinfluss auf den Westhängen von Sömen/Roter Kogel
Nach dem Orkan vom 21. – 23.12. immer noch starker Westwind am 24.12.

Schneequalität

Großteils hart und glatt, oft auch hart und unregelmäßig. Kammnah ist der Schnee extrem vom Wind beeinflusst oder die Schneedecke vollkommen erodiert und der Boden aper. Aber auch tiefer unten ist die Schneedecke in allen Exposition durch den Orkan bearbeitet worden. Sogar im lichten Wald konnte der Wind überall wirken – egal in welchen Expositionen. Die Schneeoberfläche wurde zudem kurz nach dem Sturm am 24./25.12. bis etwa 2800 m durch Regen, Wärme und feuchte Luft leicht angeschmolzen.

Kombi Wind + Schmelze

Durch diese Kombination aus extremer Windaktivität und Schmelze findet man eine meist harte, teilweise unregelmäßige Schneeoberfläche. Meist ist sie – vor allem weiter oben – durch den Windeinfluss hart und tragend, vor allem südseitig. Schattseitig wurde die Schneedecke oft auch tragfähig verpresst durch den Orkan, aber man findet immer wieder auch einen dünnen Schmelzbruchharschdeckel oder sogar eine Kombi aus Schmelz- und Windbruch.

Derzeit typisches Bild der Schneeoberfläche in Grat- und Gipfelnähe.

Windbearbeitete und durch Schmelze oberflächlich verkrustete Schneedecke auf 2500 m auf der Lampsenspitze am 28.12. abseits des Abfahrtskorridors. Im Hintergrund der Zischgeles.

 

Lawinengefahr

Altschneeproblem

Die schwach ausgeprägten Altschneeschwachschichten vom Frühwinter spielen keine Rolle mehr. Wenn das Wetter jetzt nicht wochenlang niederschlagsarm und meist wolkenlos wird, können wir auf einen sehr entspannten Winter blicken. Ein frisches Altschneeproblem ist derzeit nicht in Sicht – und wenn sich eines ausbilden sollte, dann wird es eher nur mehr kurz von Relevanz sein.

Ansonsten gilt es nun „nur“ mehr auf kurzfristige, meist weniger problematische Neu- und Triebschneesituationen zu achten.

Problem Schneequalität, nicht Lawinengefahr

Derzeit ist aber nicht die Lawinengefahr der limitierende Faktor für lässige oder steile/extreme Touren, sondern die Schneequalität und die Schneeverteilung. „Normale“ Skitouren sind trotz stabiler Schneedecke weiterhin die sinnvollste Beschäftigung mit Tourenski.

Die letzten Schneebrettlawinenauslösungen durch Wintersportler im Sellraintal waren Anfang/Mitte Dezember (Pirchkogel, Kraspestal, Gaiskogel):

Gleitschneeproblem

Dafür gab es Mitte Dezember eine gewaltige Aktivität von Gleitschneelawinen für Sellrainer Verhältnisse (wo das Gleitschneeproblem aufgrund der meist rauen, unregelmäßigen Böden am Berg fast nirgends eine Rolle spielt.) Alle bekannten Gleitschneebereiche im Tal sind mehrfach als Gleitschneelawinen abgegangen. Gleitschneelawinen sind typisch für eine stabile Schneedecke und typisch für schneereiche Winter mit einem eher guten Schneedeckenaufbau.

Heuer sind Gleitschneerisse sogar im Sellrain wieder einmal vereinzelt am Berg zu sehen.
… und werden auch untersucht.

Gleitschnee auf Dach in Praxmar.
Rückblick Mitte Dezember: Super Verhältnisse bei viel Pulver und einigen Gleitschneelawinen. Schöntal.

 

Mögliche Skitouren

Alles außer…

Im Sellrain empfiehlt sich lediglich der Anstieg zum Lüsener Ferner von der Schneemenge respektive Schneeverteilung noch nicht. In der Mauer sind die Gletscherschliffplatten einfach unzureichend eingeschneit bzw. wurden durch den Sturm wieder freigeblasen. Alle anderen Touren – auch auf die anderen, hohen Sellrainer wie Seeblaskogel oder Längentaler Weißerkogel – wurden bereits Mitte Dezember mehrfach begangen.

Wirklich sinnvoll sind aber derzeit lediglich Touren, die maximal knapp über die 3000 m-Marke hinausragen. Alles über 3100 m macht weiterhin weniger Sinn. Die Zeit für diese Ziele ist einfach noch nicht reif bezüglich eines allumfassend guten Skitourenerlebnisses, hauptsächlich aufgrund der Schneequalität.

Empfehlungen

Dort, wo viele Leute abfahren

Aufgrund der meist schlechten Schneequalität durch Sturm und Schmelze empfiehlt sich eine „Tourengeherpiste“ –  wie die Lampsen in den Weihnachtsferien innerhalb von zwei, drei Tagen eine geworden ist. Darum wieder einmal ein Hoch auf die vielen Begehungen auf dem Hauptkorridor dieser Tour! Gott sei Dank gibt es so viele Skitourengeher im Sellrain! ;-)

Alles andere ist zwar machbar, aber selten gut. Oben, wo es nicht warm genug zur Schneeschmelze wurde, hat der Sturm gewütet und die Schneeoberfläche ist unregelmäßig, von Winderosionsformen gekennzeichnet, ruppig und hart. Weiter unten findet man häufig auch eine vom Wind bearbeitete, harte Schneeoberfläche oder eben Schmelzbruchharsch.

Seltene Situation: Es gibt derzeit keine Hangexposition und keine Höhenlage, die von der Schneequalität wirklich besser wäre als eine andere.

Gute Naturschnee-Tourengeherpiste am 28.12.2023 auf der Lampsenspitze.
Gute Naturschnee-Tourengeherpiste am 28.12.2023 auf der Lampsenspitze.

Gedanken: Firn?!

Man liest derzeit immer wieder von „Firn“. Richtigen Firn kann man derzeit nicht fahren, dafür ist die Sonne zu schwach und die Schmelzumwandlung der Schneedecke war zu wenig ausgeprägt. Einen gleichmäßigen, glatten und gut auffirnenden Harschdeckel findet man nicht. Auch wenn die Schneeoberfläche oft tragfähig und verharscht ist.

Hartgepresster, trockener, kompakter Altschnee der oberflächlich feucht wird, ist noch kein Firn. Ebenso ein unregelmäßiger, löchriger Harschdeckel der beim Durchfeuchten weich wird aber eben noch nicht die richtige Firnauflage bildet. Das wird sehr häufig verwechselt und ist vom Fahrgefühl etwas ganz anderes. Auch das Spurbild auf dem Schnee der derzeit als Firn bezeichnet wird, schaut ganz anders aus als bei echtem Firn im Frühjahr. Nur weil der Schnee aufweicht und vorher hart-gefroren war, ist es kein Firn.

Richtigen Firn gibt es derzeit nicht. Nirgends.

Das ist Firn im deutschsprachigen Raum außerhalb der Schweiz. Eine vollständig in große Schmelzformen umgewandelte, gleichmäßige, tragfähige Schneeoberfläche und einen sauberen Wasser-Eiskorn-Film durch die Sonne bildet und trotzdem beim Befahren tragfähig bleibt. Man schmiert wie auf Wasser dahin. Eine vom Wind hartgepresste oder unvollständig schmelzumgewandelte Schneeoberfläche die durch Wärme weich wird, ist kein Firn und bei weitem nicht so lässig zu fahren wie Firn.

 

Fazit

Entspannt bleiben, „Tourengeherpisten“ nützen und auf den nächsten Schneefall warten. Oder auf gute Skifahrqualität verzichten und im schlechten Schnee alle anderen Touren unternehmen – geht auch.

 

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Der SchneeReport bedeutet einen immensen Aufwand für mich. Unzählige Nächte um die Daten zu sammeln, die Fotos auszulesen und zu bearbeiten, mir über die Situation Gedanken zu machen und das Ganze dann komprimiert darzustellen und zu formulieren.

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Lukas Ruetz

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Fotostrecke

Noch ein Vergleich

17.12.2023. Heuer liegt im Talbereich viel aber nicht übertrieben viel Schnee, nur weiter oben am Berg gibt es extrem viel Schnee.
11.12.2020. Im letzten, schneereichen Winter 20-21 lag im Talbereich mehr Schnee als heuer, nicht aber oberhalb der Waldgrenze. Dort liegt heuer bereits deutlich mehr als 2020-21 im Dezember.
11.12.2020

07.12.2023

Der 106er ist nach zwei Wintern im dunklen & warmen Keller endlich wieder in Sonne und Kälte.

09.12.2023

10.12.2023

17.12.2023

18.12.2023

Pulver holen.

19.12.2023

Warm aber fein.

24.12.2023

Nach Wind, vor Tauwetter.

28.12.2023

Sturm-Hinterlassenschaften im dichten Wald.

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