Wechten sind eine der gefährlichsten Erscheinungen im winterlichen Hochgebirge. Jährlich verlieren Menschen in den Alpen ihr Leben durch eine Wechte die unter ihren Füßen abbricht und damit zum Absturz führt. Auch am Hohen Seeblaskogel im Sellraintal gibt es Wechten – so wie an fast jedem anderen Berg in unserem Gebirge. Aber am Seeblaskogel ist sie besonders unfallträchtig durch die geographischen wie auch menschlichen Ausgangsbedingungen.
Allgemeines zu Wechten
Eine Wechte ist ein Gebilde aus stark komprimiertem Schnee das sich an Gipfeln und Graten durch den Wind bildet. Der Wind bildet eine Wechte fast immer in die gleiche Richtung und die meisten Wechten hängen weit in den Abgrund hinein. Wechten bilden sich in erster Linie in hohen und hochalpinen Lagen. Der Wind weht dort stärker, beständiger aus der gleichen Richtung und vor allem viel, viel länger anhaltend als an den tiefer gelegenen Bergen.
Die Einschätzbarkeit und oft auch die Erkennbarkeit von Wechten liegt in etwa auf dem Level des Altschneeproblems in Sachen Lawinengefahr. Kaum ein Winter vergeht, in dem es in den Alpen keine Todesfälle durch einen Wechtenbruch gibt. Viele bekannte Bergsteiger, wie beispielsweise Hermann Buhl, sind durch Wechtenbrüche umgekommen. Und fast alle ambitionierten Winterbergler haben schon Erfahrungen mit dem „Wechtenproblem“ hinter sich sobald sie einige Jahre im Gebirge auf dem Buckel haben. Sei es, eine Wechte erst nach dem Überqueren von der anderen Seite zu erkennen und froh zu sein, dass sie gehalten hat. Oder auch dem Tod – nicht nur metaphorisch – mit einem Sprung zu entkommen während eine unerkannte oder falsch eingeschätzte Wechte unter einem abbricht.
Wechten im Sellrain
Auch im Sellrain sind Wechten – nonanet – eine alltägliche Begegnung im winterlichen Gebirge. Meist erkennt man sie bereits von weitem. Als junger Bergsteiger lernt man von alten Hasen oder in einem Alpinkurs schnell, wie man mit ihnen umzugehen hat und weicht ihnen meist großräumig aus.
Aber wenn man Wechten nicht erkennt oder nicht erkennen kann, handelt es sich um ein noch größeres und noch schwieriger einzuschätzendes Problem als das Altschneeproblem in Sachen Lawine. Man läuft ohne einen Gedanken daran in sein Verderben. Daneben schätzt man auch nach jahrzehntelanger Alpinerfahrung die Bruchzone einer Wechte sehr, sehr häufig falsch ein. Eigentlich fast immer!
Die Problemwechte am Hohen Seeblaskogel
Am Anstieg zum Hohen Seeblaskogel finden wir eine solch hinterfotzige Wechte. Knapp östlich unterhalb des Gipfels entsteht in jedem Winter eines dieser mächtigen Schneegebilde. Sie ist etwa 70 Meter breit, teilweise über 10 Meter hoch und hängt von Süd nach Nord über der Nordwand des Hohen Seeblaskogels.
Das Problem: Kommt man über den Normalanstieg vom Westfalenhaus oder der Winnebachseehütte hinauf zum Grünen-Tatzen-Ferner der sich in der Mulde unterhalb des Gipfels befindet, ahnt man zu keinem Zeitpunkt dass sich oben am Grat eine große Wechte befindet. Erst auf den letzten Metern zum Kreuz erkennt man die Wechte am Grat – die man womöglich wenige Minuten vorher selbst viel zu weit an der Kante überquert hat.
Da man direkt von Süden aufsteigt und die Wechte direkt nach Norden steht, sieht man sie einfach nicht. Erst dann, wenn man bereits am Gipfel steht. Man kommt an keinem Punkt des Aufstiegs seitlich versetzt zur Wechte zu stehen von wo aus man sie zumindest erahnen könnte.
Durch diese Ausgangssituation ist der Seeblaskogel und seine Wechte immer wieder im Gespräch bei den talheimischen Bergsteigern. Viel zu oft erlebt man es nämlich selbst, dass Aufstiegsspuren dort direkt über die Wechte von rechts nach links dem Grat entlang nach oben führen. Doch wie geht das Gesetz von Murphy:
Alles was schiefgehen kann, wird irgendwann auch schiefgehen.
Am 19.03.2019 wurde die Wechte einem erfahrenen Paar zum Verhängnis. Wie Unfälle oft passieren, war nicht nur die hinterfotzige Wechte ein Grund dafür – sondern auch sehr schlechte Sicht durch Nebel. Die Wechte brach, eine begeisterte Bergsteigerin und Skitourengeherin verlor durch den Absturz über die Nordwand ihr Leben. Ihr Ehemann konnte sich noch knapp an den Rand mit einem Sprung retten.
Darum der eindrückliche Appell
Bitte am Hohen Seeblaskogel immer etwa in Fallinie zum Kreuz mit deutlichem Abstand zum Ostgrat aufsteigen. Niemals von rechts nach links hinaufziehen!
Bitte so nicht!
Der tödliche Wechtenbruch vom 19.03.2019
Resümee
Wechten sind Schweine. Dort wo man sich – egal wie viel Erfahrung und Können man aufweist – schon sicher fühlt, ist man häufig noch bei weitem nicht sicher. Vom ersten Punkt wo man von keiner Gefahr mehr ausgeht, muss man im Grunde immer noch einige Meter weiter versetzt nach unten zur Kante gehen. Der sichere Bereich ist oft so weit weg von der Kante, dass man sich schon weit im Hang darunter befindet wo man meist einfach nicht gehen kann oder will.
Dieser Artikel entstand in Zusammenarbeit mit dem Witwer von Susanne. In der Hoffnung dass er in zukünftig ähnliches an diesem Berg verhindern kann.
Vielen Dank für diesen äusserst informativen Beitrag – insbesondere die Verlaufrichtung der Abrisskante!!!
Spitzen Artikel Lukas, Danke!!
Bislang wusste ich von Wechten „nur“ dass Sie extrem gefährlich sind, seitdem ich deinen Artikel im Januar das erste Mal gelesen habe betrachte ich die Wechten aus einem komplett anderen Blickwinkel.
Danke für diesen überaus wertvollen Beitrag! lg Peter
Danke, sehr guter Artikel.
BTW, kennst du Artikel zu Lawinenunglücken durch Wechtenbrüche von oben, d.h. Abgang der Wechte auf Bergsteiger\Skialpinisten?
Hallo Josef,
danke. Nein, davon kenne ich keine Beschreibungen.
LG
Lukas
danke lukas für deine super aufklärungen und infos immer. auf der wildspitze gings mir gleich dank eines großen schutzengel darf ich noch weiter schitouren gehen. gruß manni
Danke Manni,
Gott sei Dank alles gut ausgegangen. Ich denke, ich werde den Artikel noch mit mehr Bezug zur Wildspitze neu veröffentlichen. Denn ich hab schon oft inzwischen von der Problemwechte zwischen Nord- und Südgipfel gehört.
Danke für den sehr informativen Artikel, der hoffentlich auch als Warnung für viele unbedarfte Skitourengeher gilt!
Besten Dank für den aufhellenden Bericht zur Wechtenproblematik. Zeigt wieder deutlich, dass man nicht gedankenlos jeder noch so ausgelaufenen Spur einfach folgen soll.
Danke Dir Lukas und dem Betroffenen für diesen äussert sensibilisierenden Bericht.
Damit werd ich zukünftig mein Schutzengal nicht mehr bemühen. Herzlichen Dank Euch beiden.
Karin
Lieber Lukas,
danke für die anschaulichen Erklärungen von Dir und Deinem Co-Autor. Susanne wird uns fehlen. Aber jeder, der das hier liest, wird sich genauer überlegen, wie mit Wechten umzugehen ist.
Liebe Grüße
Barbara
Lieber Lukas, danke für diesen wertvollen Bericht – ja so war mir das auch nicht bewusst !!!
Super Artikel, gut aufbereitet. Respekt und Dank an den Co Autor das Thema aufzuarbeiten.