Corona hat die Prioritäten im gesamten Leben verschoben. Auch um die IFALP ist es etwas stiller geworden. Was hat sich seit der Gründung der Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose bei den Lawinenwarndiensten sowie bei der Initiative selbst getan?
Im Sommer 2019 haben wir – eine Gemeinschaft aus einer Hand voll Autoren, Bloggern, Alpin-Journalisten – die Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose, kurz: IFALP, ins Leben gerufen. Ideengeber war der grenzüberschreitende, einheitliche und mehrsprachige Lawinenreport von Tirol, Südtirol und dem Trentino der im Herbst 2018 nach jahrelanger Vorbereitung im Rahmen eines von der EU geförderten Projekts online ging.
Durch die guten Erfahrungen mit diesem Projekt wurde die Idee an einem Abend nach einer gemeinsamen Skitour im Langtauferer Tal in Südtirol geboren. Beim direkten Vergleich der einzelnen Lawinenwarnungen fallen mehr oder weniger große Abweichungen auf, sowohl in der Darstellung als auch in der fachlichen Qualität, inzwischen sogar wissenschaftlich nachgewiesen. Die Auffindbarkeit der Berichte und die Zugänglichkeit zu den Detailinformationen ist sehr uneinheitlich und die Definition der Gefahrenstufen wird von Lawinenwarndienst zu Lawinenwarndienst unterschiedlich ausgelegt.
Genau hier setzt die IFALP an und will mit sanftem und wohlwollendem Druck Bewegung in die Zusammenarbeit der Lawinenwarndienste bringen – innerhalb eines Staates wie auch grenzübergreifend.
Lawinenwarndienste & EAWS
Die IFALP wurde bereits bei einigen Lawinenwarndiensten angesprochen und mit Vertretern von Warndiensten und der IFALP darüber diskutiert. Die Initiative wird großteils als berechtigt wahrgenommen – die Probleme und Diskrepanzen waren ohnehin schon lange bekannt.
Das zuständige Organ wäre – theoretisch gesehen – die europäische Arbeitsgemeinschaft der Lawinenwarndienste, die EAWS (European Avalanche Warning Services). Diese Organisation ist allerdings mehr eine lose Verbindung zum Informationsaustausch als eine Einheit wo ganz intensiv an Neuerungen gearbeitet wird. Es gibt dort einige Arbeitsgruppen zu verschiedenen Verbesserungsmöglichkeiten und Fragestellungen, aber die Mühlen mahlen sehr langsam und nur wenige Themenbereiche werden angeschnitten.
Errungenschaften der EAWS
Die beiden größten Errungenschaften in der EAWS waren die Vereinheitlichung der Gefahrenstufenskalen auf fünf Stufen in allen Ländern im Jahr 1993 sowie die Standardisierung der fünf Lawinenprobleme. Daneben auch die EAWS-Matrix zur Festlegung der Gefahrenstufen, die Klassifizierung der Lawinengrößen sowie die Informationspyramide.
Meiner Ansicht nach war jeder einzelne davon ein gewaltiger Schritt, der sicher sehr mühsam zu erreichen war und dem jeweils tiefer Respekt gebührt. Derart schwierige Grundsatzentscheidungen in einer kulturell wie sprachlich heterogenen Gruppe müssen erst erreicht werden.
Standards werden dort aber mehr aus fachlich-naturwissenschaftlicher Sicht geschaffen als aus dem zweiten, mindestens gleich wichtigen Bereich der Lawinenwarnung: Der Art und Weise, wie, wann, wo und mit welchen Mitteln kommuniziert wird. Vor allem hier setzt der Grundgedanke der IFALP an.
Schritt nach vorn im Osten Österreichs
In Österreich wurde an einem weiteren Projekt gearbeitet: Einem gemeinsamen Projekt der Lawinenwarndienste in Salzburg, Kärnten, Oberösterreich, Niederösterreich und der Steiermark.
Gut gelungen ist die gemeinsame Darstellung, die feiner aufgegliederten Warnregionen und der Ausgabezeitpunkt um 18 Uhr am Vorabend. In Summe war auch dieses Projekt wieder ein Schritt nach vorne, der einiges an Kompromissbereitschaft gefordert hat. Dafür bereits besten Dank im Namen der Wintersportler!
Berichte in der Presse und in der Fachwelt
Inzwischen wurde in vielen einschlägigen aber auch allgemeinen Medien über verschiedene Kanäle über die IFALP berichtet:
ALPIN Magazin, Allgäuer Zeitung, Abenteuer Tiefschnee, Sonntagszeitung Schweiz, Montagnes Magazine, Skitouren Summit (Online Konferenz), Powderguide, Tiroler Tageszeitung – um einige davon zu nennen.
Auf Kurs
Der Österreichische Alpenverein mit seinen ca. 600.000 Mitgliedern hat sich nun der IFALP angeschlossen, ebenso der Schweizer Alpen Club SAC, wie Camp2Camp (Frankreich), Outdooractive und das ALPIN Magazin. Ein gutes Zeichen für die Idee hinter der IFALP und ihrem Stellenwert in der Welt des Skitourengehens, Winterbergsteigens und Freeridens.
In den nächsten Monaten konzentrieren wir uns alle noch auf die Bekämpfung der Pandemie. Aber die IFALP verfolgt das Ziel einer möglichst einheitlichen, alpenweiten Lawinenprognose weiter. Sei auch du dabei: Sag’s deinen Wintersportfreunden weiter und sprich die Warndienste darauf an wenn du sie persönlich kennst.
Vor allem: Wenn du Teil einer alpinen Organisation bist und ihr die Idee gut findet, werdet Teil unserer Unterstützerliste!
Ausblick
Die IFALP ist auf Kurs. Wir werden sehen, wohin uns die Reise führt. Der erste Schritt ist getan und die Arbeit geht weiter.
Links
Die Menschen hinter der IFALP
Pressemitteilung
Grenzen existieren nur in unseren Köpfen
Wir stehen zu dritt auf der Dreiländerspitze in der Silvretta. Einer von uns in Tirol, einer in Vorarlberg, einer in Graubünden. Wir befinden uns in zwei verschiedenen Staaten in drei verschiedenen Verwaltungszonen. Je nachdem in welche Richtung wir abfahren, gilt eine andere Lawinenprognose. Das SLF in der Schweiz spricht von einer Gefahrenstufe Eins, der Lawinenwarndienst Vorarlberg von einem Zweier und die Tiroler geben im Lawinenreport gar einen Dreier aus. Ein Grund für diese Abweichungen ist nicht ersichtlich, denn die meteorologischen Bedingungen waren in der Umgebung dieses Grenzberges den gesamten Winter über nahezu identisch.
Die Natur ist grenzenlos
Die Berge kennen keine Verwaltungsgrenzen. Dasselbe gilt für die Schnee- und Lawinensituation. Für die Alpen werden jedoch von 17 Lawinenwarndiensten unterschiedliche Lawinenprognosen herausgegeben. Die erste Herausforderung stellt sich mit dem Auffinden der richtigen Webseiten. Da die Lawinenprognosen unterschiedlich dargestellt werden, erfordert jede Web-Seite eine Einarbeitungs- und Gewöhnungsphase.
Standardisiert aber subjektiv unterschiedlich interpretiert
Die Europäischen Lawinenwarndienste stützen sich zwar auf die standardisierte Europäische Gefahrenskala. Die Skala wird aber mehr oder weniger unterschiedlich angewandt. Die Praxis zeigt immer wieder markante Unterschiede. Auch die Aufbereitung der Prognosen anhand der Informationspyramide („Das Wichtigste kommt zuerst“) wird nicht einheitlich gehandhabt.
Zum Schluss sieht sich der Wintersportler und die Wintersportlerin häufig mit widersprüchlichen Informationen bei gleichen Verhältnissen konfrontiert.
Zukunftsvision
Deshalb haben wir eine Vision. Wir wünschen uns eine konsistente, so weit wie möglich homogene und mehrsprachige Lawinenprognose für den gesamten Alpenraum. Identische Darstellung, keine gravierende Unterschiede in der Verwendung der Gefahrenstufen, ohne vom Menschen geschaffene, sondern nur mit natürlichen Grenzen.
Diese könnte folgendermaßen aussehen:
- Bestmögliche Ausrichtung der Lawinenprognose auf die Bedürfnisse von Schneesportlern, denn sie stellen die große Mehrzahl der Lawinenopfer
- Konsistente Verwendung der Gefahrenstufe. Eine Arbeit von Techel et. al. (2018) zeigt, dass hier Handlungsbedarf besteht da unterschiedliche Warndienste bei ähnlicher Situation oft verschiedene Gefahrenstufen vergeben.
- Einheitliche und vollständige Verwendung aller Elemente aus der Informationspyramide.
- Mehrsprachigkeit: Mindestens eine Lokalsprache plus Englisch.
- Gleicher Ausgabezeitpunkt am Abend (17h) mit optionaler Aktualisierung am Morgen. Der Abendbericht hat sich organisatorisch für Schneesportler bewährt.
- Einheitliche Darstellung auf einer dynamischen Karte, die den ganzen Alpenbogen umfasst.
- Ähnliche Größe der Warnregionen, die anschließend flexibel zu Warngebieten aggregiert werden können (siehe große Unterschiede in der Karte oben).
- Ähnliche Prozesse bei der Erzeugung der Lawinenprognose. Nur vergleichbare Prozesse können vergleichbare Ergebnisse zur Folge haben.
Wenn es leicht wäre, wäre es keine Herausforderung
Wir sind sehr dankbar für die akribische Arbeit die die Lawinenwarndienste täglich leisten. Ebenso sind wir uns bewusst, dass in der Vergangenheit gewaltige Anstrengungen unternommen wurden, um sich einander anzunähern. Wir wissen auch wie schwierig grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist. Wir sind aber auch der Ansicht, dass der Handlungsbedarf immer noch groß ist.
Wo ein Wille, da ein Weg
Das alles sind keine Illusionen. Das zeigt das Projekt des Euregio-Lawinenreports in Tirol (Österreich), Südtirol und Trentino (beide Italien). Diese gemeinsame Lawinenprognose wird täglich in drei Sprachen ausgegeben und stellt einen großen Fortschritt dar. Der Beweis, dass grenzüberschreitende Zusammenarbeit funktioniert – sofern alle Akteure von der Politik bis zum Lawinenwarner an einem Strang ziehen.
Daher die Initiative für eine alpenweit einheitliche Lawinenprognose. Wir wollen darauf hinweisen, wie wichtig die Zusammenarbeit in Sachen Lawinenwarnung ist. Denn auch nur ein einziges dadurch gerettetes Menschenleben ist mehr wert als alle investierten Ressourcen.
Mehr unter IFALP.org
Wer zusammenarbeiten will, wird Wege finden. Wer nicht zusammenarbeiten will, wird Gründe finden.
Wer sich uns anschließen möchte, darf diesen Beitrag gerne teilen, zitieren und verlinken.
Weiterführende Links